Starke Auflagenverluste bei den Printmedien – ist Print also tot?

Wie aktuelle Zahlen der IVW zeigen, müssen deutsche Printmedien im ersten Quartal des Jahres starke Auflagenverluste hinnehmen. Betroffen sind aber nicht nur große Namen wie BILD, WELT oder FAZ, sondern auch namhafte konservative Blätter.

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Starke Auflagenverluste bei den Printmedien – ist Print also tot?
Die Auflagen sinken© IMAGO / Michael Gstettenbauer

Zeitungen sind Kulturgüter – aber nicht unantastbar. Immer mehr Zeitungsredaktionen geraten in den letzten Jahren unter Druck. Sinkende Auflagen und zahlungsunwillige Abonnenten, dazu junge Leser, die mit digitalen Zeitungen und Blogs aufgewachsen sind und gar nicht mehr zur gedruckten Zeitung greifen. Dazu kommen einbrechende Werbeeinnahmen. Einige Redaktionen, wie die der taz, planen sogar, die Printausgabe ganz einzustellen, um mit der Digitalisierung der Medienwelt Schritt zu halten, andere Zeitungen wechseln den Verlag, Redaktionen werden geschlossen oder zusammengelegt. „Print ist tot“, tönen die digitalen Sirenen, die das gedruckte Papier schon heute als Relikt der Vergangenheit betrachten.

Gerade im Bereich der alternativen Medien befinden sich die Akteure und Redaktionen in der Regel in einer prekären finanziellen Situation. Es fehlt nicht nur an den potenziellen zahlungsbereiten Massen, sondern auch an potenten Geldgebern oder Werbepartnern. Wer sich heute als konservativer Patriot abseits des Mainstreams informieren will, muss auf idealistisch betriebene Blogs oder YouTuber ausweichen oder eine der wenigen professionell betriebenen Plattformen wie die Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit oder Tichys Einblick nutzen. Allerdings – das zeigen die aktuellen IVW-Zahlen – sinken auch bei diesen Blättern die Auflagen.

BILD bleibt meistgelesene Zeitung

Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) überprüft regelmäßig die Verkaufszahlen der großen Publikumsmedien in Deutschland. Für das erste Quartal 2023 hat der Verein nach eigenen Angaben „323 Tages- und 17 Wochenzeitungen, 547 Publikumszeitschriften und 831 Fachtitel, 13 Supplements, 38 Kundenzeitschriften, 16 Handbücher und zwei Telekommunikationsverzeichnisse“ untersucht. Dabei wurden auch liberale bis konservative Printmedien wie Tichys Einblick, Junge Freiheit und Cicero analysiert. Die größten Auflagenverluste mussten dabei die großen Tageszeitungen aus dem Mainstream hinnehmen.

Die BILD-Zeitung verlor innerhalb eines Jahres 119.114 Leser, ein Minus von 12,6 Prozent (noch 823.273 Leser). Dennoch bleibt sie die meistgelesene Zeitung Deutschlands. Verfolger Süddeutsche Zeitung büßte 19.903 Exemplare ein. Auch die FAZ verlor 7,1 Prozent an Auflage, was konkret 12.192 Lesern entspricht (bei noch 159.818 Lesern). Und die linksradikale taz verlor mindestens 6,6 Prozent ihrer Leser (absolut 2.541) und hat noch eine Auflage von 35.961 Exemplaren. Prozentualer Spitzenreiter ist die WELT, die ein Minus von 13,8 Prozent und damit den Verlust von 5.756 Lesern hinnehmen musste, aber immer noch eine Auflage von 35.878 Exemplaren hat.

Starke Verluste bei der WELT am Sonntag

Nicht viel anders sieht es bei den Wochenzeitungen aus: Die BILD am Sonntag verlor mit knapp 501.395 Lesern 14,8 Prozent (absolut 87.024). Die WELT am Sonntag gab sogar 17,3 Prozent ihrer Leser (absolut 39.414) ab und kommt nur noch auf 189.028 Leser. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung verlor ungefähr 17.000 Leser – das sind minus 9,3 Prozent. Mit einer Auflage von 21.218 Exemplaren büßte die Katholische Sonntagszeitung für Deutschland 8,8 Prozent oder 2.151 Leser ein. Die linksliberale Tageszeitung Der Freitag konnte dagegen um 1,1 Prozent zulegen. Das sind 224 neue Leser (bei einer Auflage von 21.218 Exemplaren). Deutlich schlechter schnitt die Junge Freiheit ab. Sie erreichte nur noch eine Auflage von 20.648 Exemplaren. Sie verlor erneut 4,8 Prozent. In konkreten Zahlen sind das 1.035 Leser.

Dies gilt auch für die Wochenzeitungen. Spitzenreiter ist der Spiegel, der 702.659 Leser erreichte und damit 20.450 oder 2,8 Prozent seiner Leserschaft verlor. Ähnlich verlief die Entwicklung bei Stern und Focus. Der Hamburger Stern rutschte auf eine Auflage von 314.869 – ein Minus von 8,3 Prozent. Geringer fällt der Verlust beim Focus aus, der noch 237.458 Leser erreicht, ein Minus von 3,9 Prozent. Auffallend ist, dass sich die Wirtschaftspublikationen relativ gut behaupten konnten. Die Wirtschaftswoche oder das Manager Magazin konnten ihre Auflage halten oder sogar steigern. Auch das Handelsblatt konnte seine Auflage um 5.505 auf 132.785 steigern.

„Harte Auflage“ zeigt tatsächliche Entwicklung

Interessant bei der Betrachtung der IVW-Zahlen ist auch die „harte Auflage“. Das Medienmagazin DWDL.de bezeichnet damit eine Berechnung der „wahren Auflage“ – dabei werden nur Einzelverkäufe und Abonnements berücksichtigt, nicht aber Lesezirkel oder Bordexemplare. Damit wird „Auflagenkosmetik“ vermieden. Die Verluste bei der harten Auflage spiegeln daher sehr gut die tatsächliche Entwicklung wider – ein großer Verlust in dieser Spalte tut den Redaktionen sehr weh, da es sich hier um echte Leser beziehungsweise Abonnenten handelt. Eine niedrige Zahl zeigt also die Realität auf dem Printmarkt.

So rutscht die harte Auflage des Spiegel von rund 700.000 auf 555.000 Exemplare. Desaströs ist der Einbruch bei den Tageszeitungen, wo beispielsweise die BILD fast 120.000 Leser verliert. Während die WELT in der offiziellen Lesart nur 163 Leser verliert, sind es in der harten Auflage 5.756. Der Trend ist klar: Das Interesse und auch die Bereitschaft, die Mainstreampresse zu lesen, sinkt. Ob es sich dabei um einen generellen Wandel der Lesekultur handelt oder ob spezifischere Gründe zu suchen sind, lässt sich noch nicht beantworten – laut einer Studie aus dem Jahr 2018 lesen junge Menschen jedoch digitaler und weniger. Dies könnte ein Indiz für den seit Jahren anhaltenden Auflagenrückgang vieler Medien sein. Ältere Leser sterben, neue kommen nicht nach.

Alternative Medien profitieren nicht von Entwicklungen

Von dieser Entwicklung müssten eigentlich alternative Medien wie Cicero, Junge Freiheit oder Tichys Einblick profitieren, da das nicht linke Lager in Deutschland in vielen Umfragen wächst – doch ein Blick auf die Zahlen straft dies Lügen. Die harte Auflage vom liberal-konservative Monatsmagazin Cicero sank um 203 auf 34.018, während Tichys Einblick 399 Leser verlor und nur noch eine harte Auflage von 20.668 (IVW: 21.006, 243 bzw. - 1,1 Prozent) hat. Auch die Junge Freiheit musste Einbußen hinnehmen. Sie verlor knapp 1.000 Leser (harte Auflage: 20.648, IVW: 27.06, ein Verlust von 1.297 beziehungsweise 4,6 Prozent).

Der Chefredakteur von Tichys Einblick, Roland Tichy, nahm die oben genannten Zahlen entspannt auf. Auf Nachfrage bestätigte er gegenüber FREILICH einen Abonnentenverlust im Jahr 2022 aufgrund „russlandkritischer Berichterstattung“, im ersten Quartal dieses Jahres habe man die Zahlen aber wieder verbessern können. Dementsprechend zufrieden ist Tichy mit der Entwicklung – man wolle sogar wieder in die Offensive gehen und beispielsweise verstärkt auf Veranstaltungen präsent sein.

Der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, äußerte sich gegenüber FREILICH zum neuen Leserverhalten und dem damit zusammenhängenden Rückgang der Abonnenten: „Richtig ist aber, dass auch unsere Leser immer häufiger Nachrichten, Kommentare, Reportagen und andere Inhalte online lesen, sehen, hören. Die Auflage unserer gedruckten Zeitung geht entsprechend zurück“. Eine Gefahr für die Junge Freiheit sieht er nicht. Es gebe immer einen Leserkreis, der sich auf die neue Ausgabe am Donnerstag freue. Zudem könne man mit dem wachsenden Online-Geschäft und dem dort noch auszuschöpfenden Potenzial mögliche Rückgänge bei der Printauflage kompensieren. Mit einer Investition von einer Million Euro werde man nun in die Medienoffensive gehen, so Stein weiter, um auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren.

Das Leseverhalten hat sich verändert

Fraglich ist allerdings, ob Abonnentenoffensiven wirklich etwas bringen, denn das Leseverhalten hat sich, wie bereits erwähnt, verändert.. „Die Deutschen sind nicht lesefaul geworden. Sie bevorzugen schlichtweg Bücher“, erklärt Politloge und Publizist Benedikt Kaiser gegenüber FREILICH und verweist dabei auf Zahlen der Wirtschaftswoche. „Der Büchermarkt in Deutschland ist immer noch über 50 Prozent größer als der Markt für Computer- und Videospiele! 9,6 Milliarden Euro Umsatz wurden allein 2021 mit Büchern erzielt (2017 waren es noch 9,1 Milliarden Euro)“.

Zumindest bei Büchern sind die Deutschen also noch lesefreudig, bei Zeitungen und Zeitschriften sieht es anders aus. Dementsprechend sucht Kaiser die Gründe für die sinkenden Auflagen eher woanders. „Dass die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften sinken, liegt nicht in erster Linie an einer objektiven Lesefaulheit“, so der Experte und führt aus: „Aber der Gebrauchswert von Zeitungen und Zeitschriften sinkt offenbar stetig im Ansehen vieler Leser“. Das Problem ist möglicherweise also ein anderes – der Inhalt.

Starke Konkurrenz bei den Printmedien

Kaiser erwähnt den Chefredakteur und Gründer der Jungen Freiheit, Dieter Stein, der mit der Zeitung einen „Anpassungskurs“ in die „bürgerliche Mitte“ führe: „Offenkundig ist diese 'bürgerliche Mitte' aber an Angeboten Steins recht wenig interessiert; die Zahlen legen das jedenfalls nahe“. Zudem müsse sich die Zeitung auch gegen andere professionelle Konkurrenten wie Tichys Einblick oder Reichelts neuer Medienfirma durchsetzen, die um dieselben Leser werben. Besonders vom ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt ist Kaiser beeindruckt. Sein Medienprojekt Rome Medien GmbH, welches unter anderem Pleiteticker betreibt, sei mit dem aktuellen Vorgehen derzeit sehr dominant, „der Markt lässt also wenig Wachstumsspielraum für Steins Junge Freiheit“.

Die Leser von Zeitungen und Zeitschriften werden also weniger, aber sie werden wohl nicht verschwinden, wenn man Michael Haller glauben mag. Der Medienprofessor hat eine Streitschrift verfasst, in der er die Zeitung als elementar für die Gesellschaft darstellt, da sie wichtige Informationen verbreite und eine eigene Kultur bilde. Die zentrale These des Buches ist, dass der Bedeutungs- und Auflagenverlust der Zeitung gestoppt werden könnte, wenn sich die Macher mehr mit dem Publikum auseinandersetzen würden. Ob er Recht hat, wird sich zeigen.

Der Beitrag wurde nach der Veröffentlichung am 04.05.2023 um 15:18 Uhr um die Stellungnahme von Dieter Stein ergänzt.