Der Anschlag von Ebergassing und die „Tatblatt“-Affäre

Der gescheiterte Anschlag von Ebergassing setzte Mitte der 1990er-Jahre die linke Szene unter Druck und brachte in der Folge auch den damaligen Innenminister Caspar Einem (SPÖ) in Bedrängnis.

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Der Anschlag von Ebergassing und die „Tatblatt“-Affäre
Das Ernst-Kirchweger-Haus in Wien (Symbolbild)© Johannes Maximilian, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons (Bild zugeschnitten)

Am 11. April 1995 starben in der niederösterreichischen Gemeinde Ebergassing die beiden Linksextremisten Gregor Thaler (29) und Peter Konicek (33) beim Versuch, einen 380kV-Hochspannungsmast in die Luft zu sprengen. Aufgrund einer zu hohen Induktionsspannung explodierten zwei der vier am Strommast angebrachten Sprengsätze vorzeitig. Der Mast blieb stehen, doch die beiden Männer bezahlten mit ihrem Leben. Erst einige Tage später wurden ihre Leichen entdeckt. Die Motive für den fehlgeschlagenen Anschlag sind bis heute nicht ganz geklärt. Vermutlich richtete sich die Aktion gegen den Atomstromtransit von Ost- nach Westeuropa, welcher nur einige Wochen zuvor über diese Stromleitung begonnen hatte.

Wer waren Gregor Thaler und Peter Konicek?

Thaler stammte ursprünglich aus der Innsbrucker Punkszene. In den 80er-Jahren zog es ihn nach Wien, wo er in der Hausbesetzerszene aktiv wurde. Mitte der 80er wohnte er im besetzten Haus in der Aegidigasse in Wien-Mariahilf, bis dieses 1988 von der Polizei gewaltsam geräumt wurde. In den 90er-Jahren plante Thaler mit anderen Genossen die Besetzung des Ernst-Kirchweger-Hauses (EKH) und gehörte in der Folge auch zu den maßgeblichen Personen der EKH-Szene. Thaler wurde mehrfach verurteilt, unter anderem wegen Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Peter Konicek ist in Ebergassing aufgewachsen und kannte deshalb die Gegend. Das war wohl auch der Grund, warum die beiden Linksextremisten den dortigen Hochspannungsmast für den Anschlag ausgewählt hatten. Konicek war ursprünglich im Umfeld der anarchistischen „Schwarzen Distel“ und später wie Thaler im EKH aktiv. Beiden hatten sich vermutlich schon vorher in der Aegidigasse kennengelernt. „Konicek propagierte offen, Menschen zu politisieren und zu radikalisieren, Widerstand aufzubauen und ein Umfeld für militante Aktionen zu schaffen. Er forderte immer wieder, privates und politisches nicht zu trennen, antifaschistische und antiimperialistische Haltungen nicht nur theoretisch zu diskutieren, sondern sie auch in der Praxis umzusetzen“, heißt es in einer 30-seitigen „Dokumentation“, die fünf Jahre nach dem Anschlag in der Szene in Umlauf gebracht und auch auf der Homepage der mittlerweile eingestellten linksradikalen Zeitschrift Tatblatt veröffentlicht wurde.

Thaler und Konicek sollen bereits vor dem Anschlag in Ebergassing mehrere militante Aktionen durchgeführt haben. Die Polizei geht davon aus, dass von Ende der 1980er- bis Anfang der 1990er-Jahre mehrere versuchte Sprengstoffanschläge auf das Konto der beiden gehen oder zumindest mit ihnen in Zusammenhang stehen.

Die Suche nach dem dritten Täter

Nach dem gescheiterten Anschlag in Ebergassing wurde im Zuge der Ermittlungen auch nach einem mutmaßlichen dritten Täter gefahndet, der lebend entkommen sein und das Fluchtfahrzeug gelenkt haben soll. Am 20. April stellten die Ermittler einen schwarzen Citroën sicher, in dem sich Koniceks Reisepass und Schachteln, mit denen der Sprengstoff transportiert wurde, befanden. In der Wohnung von Thaler und dessen Freundin Beate G. fanden die Ermittler Materialen, die sich zur Herstellung von Sprengsätzen eignen. G. war nach Bekanntwerden des Anschlags untergetaucht und stellte sich erst am 25. April der Polizei. Sie gab damals an, sich „aus Angst vor Medien und Polizei“ versteckt zu haben und mit dem Anschlag nichts zu tun zu haben.

Als dritter mutmaßlicher Täter geriet Bassam A. ins Visier der Ermittler, da er in engem Kontakt zu Thaler und Konicek stand. Außerdem soll er laut Polizei bereits mehrere versuchte und vollendete Sprengstoffanschläge – unter anderem auf eine Autofirma und eine Bahnstrecke in Tirol – verübt haben. Unmittelbar nach dem Anschlag in Ebergassing verschwand A. nach Mexiko. Sechs Jahre lang wurde er per internationalem Haftbefehl gesucht, ehe er kurzfristig festgenommen wurde. Laut Medienberichten soll A. zu diesem Zeitpunkt mit Beate G. in einem kleinen Fischerdorf im Süden Mexikos gelebt haben. Zu einer Auslieferung kam es jedoch nie, da die österreichischen Behörden keine stichhaltigen Beweise gegen den Linksextremisten vorlegen konnten. Die österreichische Untersuchungsrichterin hob den Haftbefehl schließlich wegen der lange zurückliegenden Tat und der „schwierigen Beweisführung“ auf. A. bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und stellte sich in den Medien als „Opfer einer politischen Intrige“ dar.


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Affäre um Caspar Einem

Mehr noch als die juristische Aufarbeitung sorgte die Verwicklung von Innenminister Caspar Einem (SPÖ) für heftige politische Debatten. Vor allem die FPÖ schoss sich auf Einem ein. Der damalige FPÖ-Klubobmann Ewald Stadler sprach von einer „tiefen Verstrickung“ des Innenministers „in das Umfeld der linksterroristischen Attentäter“. Auch die Kronen Zeitung titelte: „Weg mit ihm!“ Konkret ging es unter anderem um zwei Geldspenden an das Tatblatt, wobei der SPÖ-Politiker behauptete, sich nur an die erste Spende erinnern zu können und die Inhalte der Zeitschrift nicht gekannt zu haben. Das Tatblatt war in den 90ern ein zentrales Organ der linksextremen Szene, in dem unkommentiert Bekennerschreiben zu Anschlägen und auch schon mal eine Anleitung zum Bau von Molotowcocktails veröffentlicht wurden. Die Redaktion befand sich bis zu ihrer Einstellung im Jahr 2005 einige Zeit im Ernst-Kirchweger-Haus, womit sich der Kreis zu den beiden verstorbenen Linksextremisten Thaler und Konicek schließt.

Innenminister Einem kannte zumindest Thaler seit Ende der 80er-Jahre persönlich. Damals war Einem Wohnbaureferent bei der Arbeiterkammer und setzte sich für die Hausbesetzerszene ein. Jahre später erzählte er der Tageszeitung Der Standard, Thaler habe ihn 1988 um eine „wohnrechtliche Beratung“ für das besetzte Haus in der Aegidigasse gebeten. Er sei dann auf Einladung Thalers zu einem „Tag der offenen Tür“ gekommen. 1993 – Einem war zu diesem Zeitpunkt Manager bei der OMVA – habe sich Thaler wieder bei ihm gemeldet. Diesmal wollte er Geld für eine Druckmaschine für das Tatblatt. „Das war unverfroren“, erzählte Einem gegenüber dem Standard. Er habe zuerst abgelehnt, dann aber doch 5.000 Schilling gespendet. Danach habe es keinen Kontakt mehr zu Thaler gegeben. 1995 spendete Einem weitere 1.000 Schilling an Tatblatt, das gerade einen Prozess gegen den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider führte.

Die Folgen von Ebergassing

Doch nicht nur Einem geriet wegen seiner Kontakte in die linksextreme Szene in Bedrängnis – auch die Szene selbst wurde in Folge der Ermittlungen genau durchleuchtet. Auf politischer Ebene war vor allem die FPÖ um Aufklärung bemüht und brachte mehrere parlamentarische Anfragen ein. In der vorhin bereits erwähnten „Dokumentation“ von Ebergassing beklagten die anonymen Autoren, dass in der Linken von Beginn an Panik vor Repression geherrscht habe. „Eine offene Auseinandersetzung mit der Aktion und dem Thema war und ist bis heute kaum möglich.“ Das habe dazu geführt, dass nach Ebergassing „auch die letzten Reste militanter Ansätze verschwunden“ seien. „Radikalere Ansätze werden kaum mehr geäußert, und schon gar nicht aufgegriffen. Nicht einmal verbal im Scherz werden anschlagsrelevante Ziele in die Luft gesprengt“, monierten die Autoren damals.

Die linke Szene hat die Schockstarre nach Ebergassing natürlich längst überwunden. Über den heutigen Zustand der österreichischen Antifa-Szene lesen Sie im Beitrag „Antifa heißt Krampf“ von Julian Schernthaner – erschienen in der aktuellen FREILICH-Ausgabe „Terror von links“.