Radings Fuxenstunde (4) — Die Couleur
Das Korporationswesen ist durchzogen von einem fast geheimen Code, der mit seinen zahlreichen Eigenwörtern, Abkürzungen und Persiflagen auf anderweitig verwendete Begriffe für Außenstehende oft ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Niclas Rading klärt in seiner Kolumne auf.
Die Mütze ist nur eines der Erkennungszeichen eines Verbindungsstudenten.
© IMAGO / Elmar GubischDas offensichtlichste äußere Erkennungszeichen des Verbindungsstudenten ist sein Band. Landläufig gerne als „Scherpe“, intern humoristisch-verklärend als „Strippe“, bezeichnet, gibt es wohl kein so eindeutiges Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der eigenen Verbindung wie die lustige, farbige Stoffrolle, die die stolze Brust umschlingt. Das Band ist Teil der verbindungsstudentischen „Couleur“, also der Farben beziehungsweise Farbkombination, die der Abgrenzung zu anderen Korporationen dient. Zur Couleur gehört jedoch weitaus mehr, als nur das Band und je nachdem, wie erpicht man auf Äußerlichkeiten ist, kann die schiere Fülle an Couleurgegenständen, -formen, -regeln und -späßen zu einem Fass ohne Boden gesteigert werden — der couleurstudentischen Kreativität sind schließlich keine Grenzen gesetzt.
Farbenverweigerer und ihre eigene Tradition
Bevor die Couleur in all ihren Facetten beleuchtet werden soll, sei jedoch festgehalten, dass nicht alle Verbindungsstudenten „Farben“ tragen. Das 19. Jahrhundert kann allgemein als Hochphase des deutschen Korporationswesens beschrieben werden. Die Hochschulen erfreuten sich stetig steigenden Zustroms und die Verbindungen unbekannter Beliebtheit. Es gab jedoch überall Studenten, die aufgrund der Nichterfüllung bestimmter Aufnahmekriterien, persönlicher Unstimmigkeiten oder schlichter Unlust darauf verzichteten, dem Zeitgeist zu folgen und Mitglied einer Verbindung zu werden. All jene Studenten wurden im korporativen Jargon als „schwarze“ (vulgo: farbenlose) Studenten bezeichnet, wobei das Adjektiv grundsätzlich nicht ohne despektierlichen Unterton verwendet wurde.
Alsbald begannen sich auch diese studentischen „Außenseiter“ vereinsmäßig zu organisieren und gründeten „schwarze“ Verbindungen, deren primäres Gründungsziel in der Ablehnung der Couleur, und damit der ihrerzeit vorherrschenden studentischen Sittenlag. Schwarze Verbindungen gibt es vereinzelt heute noch, ebenso wie „farbenführende“ Korporationen, die zwar offizielle Farben haben, diese jedoch nicht in Form von Band, Mütze, etc., sondern allenfalls mittels Beflaggung des Verbindungshauses, nach außen tragen. Die überwiegende Mehrheit der Verbindungstudenten von heute ist allerdings (noch) immer „farbentragend“ und führt die Tradition, Couleur zu haben und zu tragen als integralen Bestandteil ihres studentischen Selbstverständnisses.
Was zur Couleur dazugehört
Nun zur Couleur, die als Begriff im von der höfischen Kultur des 18. Jahrhunderts geprägten frankophilen Eifer in die deutsche Studentensprache übernommen wurde, ohne dass es eine verbindungsstudentische Verwendung desselben jenseits der Mosel geben würde. Weithin bekannt sind Band und Mütze als Erkennungszeichen der Verbindungsstudenten, zur Couleur gehört jedoch weitaus mehr. Der Versuch einer definitiven Eingrenzung des Begriffes würde voraussichtlich die Unterschiede innerhalb des Korporationswesens deutlicher hervorbringen als die ihm innewohnenden Gemeinsamkeiten. Im Folgenden soll daher, ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit, lediglich das dargestellt werden, was bei liberalster Betrachtungsweise dem Begriff „Couleur“ untergeordnet werden kann.
Streng genommen ist die Couleur ein rein physischer Begriff. Neben Band und Mütze, die zumindest an (fast) jedem Hochschulort eindeutig identifizierbar sind, gehören zur Couleur der Wahlspruch, der Zirkel und das Panier einer jeweiligen Verbindung. All das sind Gegenstände und Symbole, die aufgrund ihrer Farbgebung, Verzierung usw. konkret einer bestimmten Verbindung zugeordnet werden können. Wer eine bestimmte Couleur trägt oder sonst wie verwendet, bringt somit erkennbar seine Zugehörigkeit zum Ausdruck. Das Band, das im weitesten Sinne eine Einheit mit der Mütze als Kopfbedeckung bildet, hat seinen Ursprung im Waffengehänge früher waffentragender Studenten. Wo früher noch der Griff einer scharfen Klinge ruhte, prunkt heute nur noch der Bandknopf, der das Band zusammenhält. Die Mütze ist ein Überbleibsel studentischer Modesitte, wie sie vergleichbar auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein unter Pennälern, also Zöglingen einer bestimmten Anstalt der mittleren Bildung (vulgo: Gymnasium, Penne) üblich war.
Farbenwahl im Wandel der Zeit
Die Farbgebung beider Couleurgegenstände war meist eigenwillig. Es wurde zwar in den alten Landsmannschaften regelmäßig eine der Heimatregion entsprechende Farbe für die Mütze gewählt und entsprechend in das (zumeist dreifarbige) Band integriert, doch diese Konvention lockerte sich spätestens mit der Gründung der ersten Burschenschaften. Diese entschieden sich fast durchweg für „vaterländische“ Farben, also je nach Gründungszeitpunkt „schwarz-rot-gold“ oder „schwarz-weiß-rot“ in verschiedensten Reihenfolgen und Ausführungen. Diese „ursprüngliche“ Farbkonvention wurde vielerorts abgeändert, angepasst, durch Regionalfarben ersetzt und ergänzt oder anderweitig vom „Ursprung“ abgehoben. Gleichzeitig folgten die Landsmannschaften und zahlreiche Corps alten Sitten. Darüber hinaus entstanden neue Verbindungsformen und Dachverbände, die sich gänzlich neu orientieren wollten, und bezogen dabei sowohl auf die korporative Ausrichtung als auch die Farben, welche nach außen getragen werden sollten. Diese Entwicklung setzte sich konsequent fort. Jedenfalls sind heutzutage jegliche Rückschlüsse auf Verbindungsform oder regionale Verortung, aufgrund von Band- und Mützenfarbe, gänzlich unmöglich geworden.
Zirkel, Panier und das Erbe der Zeichen
Der Zirkel stammt aus der Ordenszeit und gleicht in seiner Funktion einem Siegel. Häufig wurde der Wahlspruch, der Name der Verbindung oder sonstige Identifikationsmerkmale als verschnörkeltes Signum stilisiert, das in wenigen Strichen gezeichnet werden und beispielsweise neben die Unterschrift oder auf wichtige Gegenstände der Verbindung gedruckt werden kann. Gleich den Farben ist der Zirkel ein Erkennungszeichen, mit dem die eigene Zugehörigkeit nach außen getragen werden soll. Zuletzt hat jede Verbindung ein Panier (oder Wappen), das häufig mit sehr liberaler Handhabung heraldischer Regeln die wichtigsten Grundsätze, Bezüge zu Gründungsort und -datum, Symbole der Alma Mater oder Ähnliches verewigt. Das Panier ist das „Aushängeschild“ einer jeden Verbindung.
Darüber hinaus gibt es noch zahllose weitere Couleurgegenstände, die jedoch von Verbindung zu Verbindung unterschiedlich sind und in keineswegs den universellen Charakter von Band, Mütze, Zirkel und Panier aufweisen. Ähnlich facettenreich wie das Verbindungsstudententum selbst ist auch der Umgang mit den eigenen Symbolen, Traditionen und eben der Couleur. Was jedoch alle Korporierten vereint, ist die stolze Ehrfurcht vor den Farben, dem Band und der Mütze, die zu tragen man das Recht erworben hat. Sie sind die Zeichen der Gemeinschaft und des Lebensbundes, dem sich jeder Verbindungsstudent verschrieben hat, und die er bis aufs Äußerste mit Wort und Tat zu verteidigen bereit ist.