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Radings Fuxenstunde (3) – Die Mensur, historisch

Das Korporationswesen ist durchzogen von einem fast geheimen Code, der mit seinen zahlreichen Eigenwörtern, Abkürzungen und Persiflagen auf anderweitig verwendete Begriffe für Außenstehende oft ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Niclas Rading klärt in seiner Kolumne auf.

Kommentar von
11.5.2025
/
5 Minuten Lesezeit
Radings Fuxenstunde (3) – Die Mensur, historisch
© IMAGO / Gemini Collection

Um fast keinen couleurstudentischen Brauch ranken sich so viele Missverständnisse und Mythen wie um den studentischen Zweikampf: die Mensur. Was für viele auf den ersten Blick als anachronistische Albernheit und sinnfreie Selbstverstümmelung über Umwege wirken mag, ist für andere wichtigster Bestandteil der verbindungsstudentischen Identität, für manche sogar überhaupt der initiale Grund, sich in einer Verbindung aktiv zu melden. Diese Ansichten zeugen von einem krassen Missverhältnis zwischen (äußerer) Wahrnehmung und (gelebter) Realität. Zeit also, einige Missverständnisse auszupauken.

(Waffen-)studenten fallen aus

Schwertkampf, Duell, Mutprobe – so wird die Mensur gerne bezeichnet, und keine dieser Bezeichnungen ist falsch, ebenso wenig wie sie zutreffend sind. Bevor jedoch ergründet werden kann, was die Mensur tatsächlich ist, muss festgehalten werden, dass Verbindungsstudent nicht gleich Waffenstudent ist. Von den rund 35.000 Studenten, die in Deutschland einer Verbindung angehören, ist nur die grobe Hälfte in einer schlagenden, sprich einer Verbindung, in der das Brauchtum des akademischen Fechtens gepflegt wird.

Von diesen 17.000 sind viele in sogenannten frei- oder fakultativschlagenden Bünden, in denen das studentische Fechten zwar erlernt werden kann oder muss, jedoch keine Pflicht zum Stellen einer Partie (will meinen: zum Ernstfall) besteht. Die Waffenstudenten sind somit eine der kleinsten Minderheiten im deutschen Studentenwesen, die dadurch aber mit umso mehr Stolz auf die selbstauferlegte Traditionspflege und jahrhundertealte Geschichte blicken. Umso wichtiger ist daher ein Einblick in Geschichte und Gegenwart des Mensurwesens; es gibt kaum noch Studenten, die tatsächlich wissen, worum es bei der Mensur geht.  

Testanten der Tradition

Das moderne Waffenstudententum hat seine Ursprünge noch vor dem modernen Verbindungswesen. Als den Studenten im ausgehenden Mittelalter praktisch im gesamten Reichsgebiet das Recht zum Waffentragen gewährt wurde, entwickelte sich rasch ein eigenes Standesbewusstsein. Ähnlich vergleichbarer Entwicklungen im niederen Adel, keineswegs jedoch in identischer Manier, erwuchs in vielen Studenten das innige Bedürfnis, ihre Waffen nicht nur zum Schutz von Leib und Leben, sondern zur Verteidigung der neugewonnenen Standesehre einzusetzen.

Abseits von der hoheitlich-universitären Gerichtsbarkeit entstand so ein Duellwesen, das selbst minutiöse Fehden lieber mit Blut, statt Dekreten und Karzerstrafen, beigelegt sah. Aufgrund der offiziellen Verbote duellierten sich die Studenten im Heimlichen und ohne sich wirklich an Regeln halten zu müssen (vulgo: Wer halbwegs heile davonkam, hat gewonnen). Ziel des studentischen Duells war, ähnlich wie anderswo, die Satisfaktion, also die Befriedigung oder Genugtuung angesichts des widerfahrenen Unrechts.

Der Student von damals riskierte nicht nur Leib und Leben (häufig gab es kein niedrigschwelligeres Gefühl der Satisfaktion als den Tod des Kontrahenten), sondern auch das Studium: wer beim Fechten erwischt wurde, kam bei leichten Vergehen in den Karzer (das von den Universitäten unterhaltene Gefängnis) oder wurde gleich exmatrikuliert. Tiefgreifende, aber deshalb nicht weniger häufig eingesetzte Strafen waren das consilium abeundi (das Gebot, die Universitätsstadt zu verlassen, mit eingebauter Schonfrist zur Immatrikulation anderswo) und, schlimmstenfalls, der Relegation (dem reichsweiten Studienverbot). Dem studentischen Duell fielen so bis zum 19. Jahrhundert Hunderte Studenten und Examina zum Opfer. 

Der scharfe Gang in die Moderne

Mit der Aufklärung entwickelt sich das Verbindungswesen stückweise in seine heutige Form. Die Universitäten werden jedes Semester von mehr Studenten besucht, der aristokratische Bildungsvorbehalt schwindet, das Verbindungswesen erfreut sich allgemeinen Aufschwungs. Da vielerorts nicht nur die Duellstrafen drakonischer, sondern die Duelle im Schnitt tödlicher (mehr Studenten ist mehr potenzielle Duelltote) werden, ist man bestrebt, das studentische Fechtwesen verstärkt zu reglementieren. Überall, wo es (fechtende) Studenten gibt, entstehen sogenannte Comments (vom französischen „wie“, ins Studentendeutsche wohl in der Bedeutung „wie es ist“/„wie es zu sein hat“ übernommen; jedenfalls heutzutage allgemein im Sinne von „Regelwerk“ gebräuchlich). Diese Comments sollen das unsaubere Aufeinandereingesteche mittels Regeln zu ansehnlicheren Ergebnissen leiten.

Hinzu kommt, dass fast überall das „Hiebfechten“ gegenüber dem „Stoßfechten“ Einzug erhält. Ziel ist es nicht mehr, den Kontrahenten mit der Klingenspitze am Oberkörper zu verletzen, sondern mit der geschärften Klinge den Kopf zu treffen. Mit der Zeit werden die Regeln immer enger und das Überleben der Teilnehmer immer sicherer. Wann und wo bestimmte Innovationen genau stattgefunden haben, ist beinahe gänzlich unüberliefert. Die wohl wichtigste Entwicklung dieser Zeit liegt jedoch in dem entscheidenden Unterschied zwischen Duell und Mensur: Das Duell zielt auf die tödliche Verletzung des Gegners zwecks Ehrbereinigung ab, die Mensur hat ausschließlich die Überwindung der eigenen Willenskraft zum Ziel.

Das studentische Fechten wird zusehends nicht mehr zur Austragung von Ehrenhändeln gepflegt, sondern wird zum festen Bestandteil der Mannwerdung eines jeden jungen Akademikers. Es darf nicht vergessen werden, dass die Mensur trotz dieses entscheidenden Unterschieds zum Duell immer noch strengsten Strafen unterlag und damals, wie heute kein junger Mensch aus Eigeninitiative seine strafbaren Spitzfindigkeiten protokolliert. Jedenfalls gibt es spätestens zur Reichsgründung an praktisch jedem deutschen Hochschulort ein ausgeklügeltes Regelwerk, das alle Eventualitäten des studentischen Fechtens regelt.  

Hieb und Schmiss

Das deutsche Kaiserreich entpuppt sich als Blütezeit der Mensur. Trotz Verbots (die Mensur wird im RStGB als „Zweikampf mit tödlichen Waffen“ unter Strafe gestellt) wird gefochten, was nur geht. Nur in seltenen Fällen kommt es noch zu Todesfällen, meistens dann, wenn nichtcommentgemäße Waffen und Schutzkleidung verwendet werden. Wer sich also an die Regeln hält, hat wenig zu befürchten. Die fechtenden Studenten erleiden selbstverständlich dennoch Verletzungen. Die Comments dieser Zeit sehen (wie sie es fast überall heute noch tun) umfangreichen Schutz für Ober- und Unterleib, wichtige Schlagadern sowie Augen, Nasen und Ohren vor. Die Gesichtspartien werden durch eine robuste Mensurbrille aus Stahl geschützt. Der restliche Kopf bleibt ohne Schutz, darf aber mittels der Klinge und dem dazugehörigen Arm verteidigt werden. Wer technisch unsauber ficht, riskiert einen Treffer auf dem Haupt: den sogenannten Schmiss.

Landläufig wird behauptet, diese markante Verletzung sei der einzige Grund, sich der Mensur zu stellen. Heutzutage sind diese Behauptungen vollkommener Schwachsinn und entlarvt den Unwissenden. Zu Kaiserszeiten verhielt es sich anders: Der Schmiss wurde mit Stolz und Standesbewusstsein getragen. Nicht zuletzt war die eindeutige Gesichtsverletzung ein Beweis der akademischen Bildung und damit der gesicherten Lebensgrundlage. Es gibt zahlreiche Erzählungen von Nichtakademikern, die sich mit Rasierklingen „Schmisse“ ins Gesicht ritzten, um ihr Ansehen zu erhöhen und Eheschließungen zu vereinfachen.

Ob verschmisst oder nicht: Bis tief in die Weimarer Republik hinein galt das studentische Fechten als Teil der universitären Laufbahn gleichwohl als unverzichtbare Pflicht und besondere Ehre. Selbstverständlich gab es auch zu dieser Zeit bereits viele Studenten, die entweder nicht oder aber in Verbindungen korporiert waren, die die Mensur abgelehnt haben. Nichtschlagenden Verbindungsstudenten soll jedoch eine andere Kolumne gewidmet sein.

Commentgemäße Gegenwart

Nach einem umfassenden Verbot im Dritten Reich erfreute sich die Mensur in der Nachkriegszeit erneut zügig großer Beliebtheit. In den sogenannten „Göttinger Mensurprozessen“ urteilte der Bundesgerichtshof Anfang der 1950er-Jahre, dass die Mensur keinen „Zweikampf mit tödlichen Waffen“ darstellt. Mehr oder weniger zeitgleich versicherten Vertreter aller großen pflichtschlagenden Verbindungsformen Kanzler Adenauer, das Duell in Gänze zu unterlassen. Seitdem muss kein Verbindungsstudent mehr seine Schmisse vor der Polizei verstecken.

Im 21. Jahrhundert ist die Mensur keine Sache des rechtlichen, sondern des persönlichen Ringens. Wer daran festhält, tut dies aus starker Überzeugung, persönlichem Anspruch, ob der körperlichen und psychologischen Herausforderungen und in Kenntnis und Bewusstsein der langgewachsenen Tradition, in die er tritt, sobald er erstmals den Schläger zur Hand nimmt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Niclas Rading

Niclas Rading wurde 2000 in Westdeutschland geboren und studiert Jura. Der gebürtige Rheinländer lebt im mitteldeutschen Exil und schreibt zwischen Bücherstapeln und Nordhäuserflaschen.

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