Wahlen in Portugal – Im Westen was Neues

Am vergangenen Wochenende wurde in Portugal ein neues Parlament gewählt. Dabei konnte die rechte Chega, die erst 2019 in die portugiesische Parteienlandschaft eingetreten war und eine Lücke rechts von Christdemokraten und Konservativen füllte, einen großen Erfolg verbuchen, wie Marvin Mergard in seiner Analyse für FREILICH feststellt.

Analyse von
15.3.2024
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5 Minuten Lesezeit
Wahlen in Portugal – Im Westen was Neues
Wahlplakat der Partei Chega© IMAGO / serienlicht

Vergangenen Sonntag wählte Portugal in einer vorgezogenen Neuwahl das nationale Parlament neu und es war vor allem die Jungpartei Chega, die sich als große Gewinnerin des Wahlabends hervortat. Mit mehr als 18 Prozent der Stimmen nimmt sie eine Mittelposition zwischen den beiden Großparteien aus Christdemokraten und Sozialdemokraten auf der einen und den Kleinparteien von Liberalen bis Kommunisten ein. Bereits 2022 konnte sich die Chega mit zwölf Mandaten auf den dritten Platz befördern, allerdings verblieb sie mit den anderen Kleinparteien zu den weniger beachteten Akteuren in der 230 Abgeordnete umfassenden Assembleia da República. Nun jedoch gelang der Chega der politische Durchbruch.

Die größten Hochburgen fanden sich hierbei für die Chega tendenziell im Süden des Landes. Entlang des Mittelmeers, an der Algarve, aber auch in manchen Regionen an der Ostgrenze zu Spanien konnte sie Wahlergebnisse von teilweise deutlich mehr als 30 Prozent erreichen. Ihre schwächsten Ergebnisse verbuchte sie im Nordwesten des Landes.

Die Wahlergebnisse im Überblick

Insbesondere der Einbruch an Stimmen für die sozialdemokratische Partido Socialista (PS) ist beachtlich. Während sie 2022 noch mit mehr als 40 Prozent deutlich die stärkste politische Kraft war, erreichte sie rund zwei Jahre später gerade mal etwas weniger als 30 Prozent und verlor knapp die Spitzenposition an das Wahlbündnis Aliança Democrática (AD), das sich aus Christdemokraten, Konservativen und konservativen Monarchisten zusammensetzt.

Neben dem bereits erwähnten außerordentlichen Erfolg der Chega, die ihre Stimmen mehr als verdoppeln konnte, verblieben die Gewinne und Verluste der kleineren Parteien überschaubar. Keine dieser Parteien erreichte mehr als acht Mandate, sodass sich das Parlament in die drei großen Stimmenblöcke von AD, PS und Chega aufteilen lässt.

Bereits jetzt steht fest, dass die Regierung der Sozialdemokraten auf keine weitere Amtszeit hoffen kann. Die Ursache liegt vor allem im Skandal Ende 2023 begründet, der zur Auflösung des Parlaments und damit zur vorgezogenen Neuwahl führte. Dieser Skandal beruhte auf dem Vorwurf, dass Teile der Regierung, unter anderem auch der damalige sozialdemokratische Premierminister António Costa, in einen Korruptionsskandal verwickelt seien. Zwar stellte sich nach der Auflösung des Parlaments heraus, dass nicht der Premierminister, sondern der Wirtschaftsminister – mit dem ähnlichen Namen António Costa Silva – darin verwickelt sein soll, jedoch führte dies folglich nicht zu einer Entlastung der sozialdemokratischen Regierung.

Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, wenn die Stimmenverluste der PS nur auf einen einzigen Skandal zurückgeführt würden. Bereits das gesamte Jahr 2023 zeichnete sich durch fallende Umfragewerte für die Sozialdemokraten und steigende Umfragewerte für die Chega aus. Die Christdemokraten konnten allerdings zu Beginn des Jahres und damit im Schlussspurt des Wahlkampfes beachtlich in der Wählergunst zulegen. Jedoch konnte sie die prognostizierten Werte von mehr als 30 Prozent nicht erreichen, die ihr bis zuletzt beinahe sämtliche Umfrageinstitute zusprachen.

Was folgen könnte

In der Theorie bestehen vier mögliche Zukunftsmöglichkeiten, die aus dem vorliegenden Wahlergebnis folgen könnten.

Szenario 1: Große Koalition

In den letzten Jahrzehnten war eine Große Koalition keine gelebte Praxis. Lediglich von 1983 bis 1985 arbeiteten Christdemokraten und Sozialdemokraten in der „Bloco Central“ genannten Koalition zusammen. Ob es zu einer erneuten Annäherung dieser Parteien kommen könnte und damit zu einem erneuten Zusammenschluss in Form eines zentristischen Blocks, ist nach jetzigem Stand weniger wahrscheinlich. Zwar wird nun aufgrund des Wahlergebnisses auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit hingewiesen, wenn Neuwahlen oder auch eine Mitregierung durch die Chega verhindert werden sollen, aber eine gewünschte Zusammenarbeit wäre dies nicht.

Szenario 2: Eine christdemokratische oder sozialdemokratische Minderheitsregierung

Beide Parteien weisen in der Vergangenheit Erfahrungen mit Minderheitsregierungen auf. Jedoch beschränkte sich dies bisher meist auf die Unterstützung jeweils kleinerer Links- beziehungsweise Rechtsparteien und umfasste normalerweise nicht die Unterstützung einer Minderheitsregierung der jeweils anderen Großpartei. Dies (oder die Tolerierung durch die Chega) wäre jedoch notwendig, um eine Mehrheit im Parlament zu ermöglichen. Dieser Schritt scheint nach jetzigem Stand weniger realistisch zu sein.

Szenario 3: Eine konservativ-rechte Koalition

Neben der Tolerierung einer AD-Minderheitsregierung durch die Chega steht die Option einer klassischen Regierungsmehrheit zwischen AD und Chega im Raum. Die Aversionen gegenüber der Chega sind auch in Portugal vorhanden und somit schloss die AD vor der Wahl eine Koalition mit der Chega aus, dennoch ist die allgemeine Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit sämtlichen Parlamentsparteien im Grundsatz vorhanden. Eine Art „Brandmauer“ gibt es in der Form nicht.

Szenario 4: Erneute Neuwahlen

Sollte keine der vorgenannten Optionen eintreffen, ist das Szenario einer Neuwahl nicht unrealistisch. Durch das starke Abschneiden der Chega verhindert sie die klassischen Regierungsoptionen der Vergangenheit und setzt die politische Konkurrenz unter Zugzwang. Es ist jedoch fraglich, ob die Vertreter der PS und der AD gewillt sind, sich der Ungewissheit eines weiteren Wahlgangs zu stellen. Ein Wahlergebnis, das daraufhin klare und einfache Mehrheiten zur Verfügung stellt, die mit dem jetzigen Wahlergebnis nicht vorliegen, sind nicht zu erwarten. Darüber hinaus könnte die Chega möglicherweise weitere Stimmen gewinnen und die 20-Prozent-Marke überspringen.

Das Phänomen „Chega“

Als im April 2019 die rechte Chega in das bestehende portugiesische Parteiengefüge hinzustieß und eine Lücke rechts der Christdemokraten und Konservativen ausfüllte, war nicht absehbar, welchen Erfolg sie innerhalb weniger Jahre erreichen könnte.

In nicht einmal fünf Jahren stieg sie zur drittstärksten Kraft auf und kann mit dem Start der neuen Legislaturperiode mit 48 Mandaten in das Parlament einziehen. Ein rechter Erfolg, der vor wenigen Jahren in Portugal nicht möglich schien. Bis zur Gründung der Chega waren rechte Positionen lediglich vereinzelt Teil des christdemokratischen und konservativen Programms, jedoch blieb die Republik im Westen Europas frei von einer dezidiert rechten Partei.

Während andere Länder entweder seit Jahrzehnten etablierte Rechtsparteien aufweisen (beispielsweise die FPÖ in Österreich, die PVV in den Niederlanden, der Rassemblement National in Frankreich) oder sich rund um die Massenmigrationsproblematik von 2015 manche Parteien rechts der Mitte in den politischen Alltag einbringen konnten (beispielsweise die AfD in Deutschland, die Vox in Spanien), blieb Portugal ein weißer Fleck. Der europäische und westliche Rechtstrend hat jedoch auch die Iberische Halbinsel nicht ausgenommen.

Mit dem starken Abschneiden der Chega festigt sich nicht nur eine wichtige Rechtspartei in Portugal, sondern gibt der europäischen Fraktion „Identität und Demokratie“ weiteren Schwung für die anstehende Europawahl in wenigen Monaten. Diese umfasst neben der Chega auch den Rassemblemt National, die AfD und die FPÖ. Die aktuellen Sitzprognosen zur Europawahl zeichnen einen harten Kampf um die Plätze drei bis fünf. Mit starken Ergebnissen der ID-Mitgliedsparteien wäre es gut möglich, dass diese sich den dritten Platz erstreitet, dahinter sich als viertstärkste Kraft die rechtskonservative EKR einreiht und die Liberalen lediglich den fünften Platz belegen.

Ein nationales Wahlergebnis und ein Hoch für eine nationale Rechtspartei sind im Angesicht der baldigen Wahl mehr als nur ein nationales Phänomen. Der Erfolg der Chega in ihrem Land könnte maßgeblich daran mitwirken, dass das Europäische Parlament von einer politischen Rechten geprägt wird, wie dies bisher noch nie der Fall war.


Zur Person:

Marvin Mergard, Jahrgang 1994, betreibt den Blog Vera Europa. Dort setzt er sich mit der politischen Rechten in Europa und der europapolitischen Lage aus rechter Perspektive auseinander.