Neuer Gaza-Krieg: Gibt es eine rechte Position?

In der Levante stehen die Zeichen auf Krieg. Nachdem die Hamas die Israelis in einer Spezialoperation überrascht hat, läuft alles auf einen großen militärischen Rückschlag Israels hinaus. Wie kann sich die deutsche Rechte hier sinnvoll positionieren?

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9.10.2023
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6 Minuten Lesezeit
Neuer Gaza-Krieg: Gibt es eine rechte Position?
Die Hamas hatte am Samstagmorgen von Gaza aus überraschend Raketenangriffe gegen Israel begonnen. (Symbolbild)© IMAGO / ZUMA Wire

Seit Samstagmorgen herrscht wieder Krieg zwischen den Palästinensern im Gazastreifen unter Führung der Hamas und Israel. Videos und Berichte in Sozialen Netzwerken zeigen, wie gut ausgerüstete Hamas-Soldaten israelische Grenzzäune durchbrechen und Militärstützpunkte einnehmen. Auf einigen Videos ist sogar eine mögliche Luftlandeoperation der Palästinenser zu sehen. Fakt ist: Der Angriff der Hamas hat die israelischen Sicherheitsbehörden überrascht und offenbar auch kurzzeitig gelähmt, denn die palästinensischen Soldaten konnten einige Stützpunkte der IDF und tief hinter der Grenze gelegene Ortschaften angreifen und dort Massaker und Plünderungen anrichten. Die Gründe für diesen gelungenen Überraschungsangriff und Spekulationen darüber müssen woanders Platz finden.

Die israelische Führung reagierte hart – Sprecher und Verantwortliche kündigten einen Gegenschlag an, zudem wurde die Bevölkerung des Gazastreifens zum Verlassen der Region aufgerufen. Eine von Hamas-Soldaten eingenommene Polizeistation in Sderot an der Grenze zum Gazastreifen, in der sich noch am Samstagabend Palästinenser verschanzt hatten, wurde bei den Kämpfen vollständig zerstört. Zudem berichten offizielle Quellen von massiven israelischen Aufmärschen: Panzer und Haubitzen werden quer durchs Land transportiert, zehntausende Reservisten mobilisiert und teilweise aus dem Ausland eingeflogen. Die Schlussfolgerung ist klar: Israel bereitet sich auf einen großen und harten Gegenschlag vor.

Alles läuft auf einen Krieg hinaus

In den Sozialen Medien stießen die brutalen Aktionen der Hamas gegen Zivilisten und israelisches Sicherheitspersonal während der Offensive auf völliges Unverständnis. So sollen Hamas-Kämpfer, die mit Fallschirmen die Grenze überqueren konnten, ein Festival angegriffen und möglicherweise bis zu 200 Zivilisten getötet haben. Eines der Opfer soll anschließend durch die Straßen des Gazastreifens gefahren worden sein, während Passanten die Leiche bejubelten und bespuckten. So gerieten viele westliche Beobachter – fassungslos über die barbarische Brutalität der Hamas – in eine verständliche emotionale Entrüstung, die jedoch ein Dilemma darstellt, denn letztlich führte die emotionale Kurzschlussreaktion zu einem altbekannten Phänomen: der Verkennung der eigenen Lage und Position und der daraus abzuleitenden Interessen und nächsten Schritte.

Es mag kalt und vielleicht sogar zynisch klingen, dies zu formulieren, während – zumindest den aktuellen Berichten zufolge – deutsche Staatsbürger ermordet wurden, aber Politik ist nicht die Fortsetzung von Moral und Philosophie, sondern immer auch knallharte Interessenformulierung und deren Umsetzung – selbst in solchen Momenten, an die wir Europäer aufgrund von Jahrzehnten an Frieden kaum noch gewöhnt sind. Zudem neigen viele beim Thema Israel und Palästina – ähnlich wie beim Thema Ukraine oder China – oft zu einem pauschalen Schwarz-Weiß-Spiel. Wer nicht für Israel ist, muss für Palästina sein und umgekehrt. Trotz dieser Bedenken muss an dieser Stelle die Frage gestellt werden, wo die Interessen Deutschlands im Nahen Osten und insbesondere im eskalierenden Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn liegen, denn eine pauschale Parteinahme für den einen oder anderen Akteur entspricht – so viel lässt sich schon jetzt sagen – nicht unbedingt deutschen oder europäischen Interessen. Um eine Lageanalyse wird man nicht herumkommen.

Wie als Rechter positionieren?

Zunächst ist natürlich zu erwähnen, dass eine souveräne deutsche und europäische Politik oder gar genuine Strategien aufgrund der aktuellen geopolitischen Arithmetik und der transatlantischen Eliten derzeit ohnehin nur in einem gewissen Elfenbeinturm ohne Anspruch auf direkte Umsetzung möglich sind. Betrachtet man die weitere Eskalation im Nahen Osten – den Krieg zwischen Hamas und Israel, den Nagorno-Karabach-Konflikt und möglicherweise weitere aufkeimende Kriege und Konflikte – so kann für die deutsche und europäische Rechte in der gegenwärtigen Situation nur ein Ziel wirklich im Mittelpunkt stehen: eine gewisse Konfliktprävention und das Beharren auf der Eindämmung konkreter bewaffneter Auseinandersetzungen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Jeder Krieg, jeder wieder aufflammende Konflikt wird weitere Migrationsbewegungen auslösen, die letztlich alle nach Europa und vor allem nach Deutschland führen. So verständlich und vielleicht auch sympathisch beispielsweise die aktuelle israelische Reaktion auf den Angriff der Hamas ist, so einfach ist auch für uns die Konsequenz: Mehr nichteuropäische Migranten, die bei einer Zerstörung oder Besetzung des Gazastreifens oder der Westbank möglicherweise nach Europa strömen werden. Darüber hinaus wird die deutsche Regierung und Politik natürlich nicht zögern, für den Wiederaufbau der aktuellen Zerstörungen in der Region ordentlich deutsche Steuergelder nach Palästina und Israel zu transferieren, um „humanitäre Notlagen“ zu lindern oder zu verhindern. Äußerungen wie die des AfD-Abgeordneten Rüdiger Lucassen im Jahr 2021, der in einer Bundestagsrede bei einem früheren Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis der IDF viel Glück bei der „der Jagd auf die Terroristen“ wünschte oder aktuelle Solidaritätsbekundungen mit Israel, sind daher kontraproduktiv und gefährlich – wir müssen uns bewusst sein, dass die Bomben der IDF weitere Migranten nach Deutschland bringen können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit „Fremdnationalismus" ein Symptom der „pathologischen Schuldkult-Internalisierung" ist.

Wirken aus der Opposition

Diese Logik gilt selbstverständlich auch für andere Konflikte. Solange Deutschland und Europa nicht zu einer sinnvollen Grenzsicherung bereit sind, kann die rechte Opposition nur daran interessiert sein, kriegerische Auseinandersetzungen zu minimieren. Bei aller Brutalität einer Kriegspartei und sonstigen Verbindungen zu möglichen Konfliktakteuren ist es fast nie ein Krieg, der deutschen oder europäischen Interessen dient, sei es in der Ukraine oder jetzt möglicherweise im neuen Gaza-Krieg. Bei aller Sympathie für die Israelis aufgrund ihrer Kultur und ihres erfolgreichen Staates und der kompromisslosen Umsetzung einer ethnonationalen Politik der aktuellen Regierung für die Region zwischen Tel Aviv und der Negev-Wüste muss man als deutsche Rechte konsequent sein: Das ist nicht unser Krieg, das ist nicht unser Konflikt – auch nicht wegen einer möglichen „historischen Verantwortung“.

Dies ist auch kein Plädoyer für bedingungslosen Pazifismus oder Isolationismus. Krieg ist eine anthropologische Konstante. Aber für eine deutsche Rechte müssen die Interessen Deutschlands und des deutschen Volkes – und darüber hinaus Europas – immer an erster Stelle stehen. Die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen muss dabei stets die Richtschnur sein. Das heißt konkret: Deutschland darf sich an diesem Konflikt nicht beteiligen, schon gar nicht militärisch. Es darf keine kostenlosen Waffenlieferungen an Israel geben, auch nicht als „Wiedergutmachung“, allenfalls Waffenverkäufe an Israel im Interesse der deutschen Wirtschaft. Wir müssen lernen, bei solchen Konflikten und Kriegen die dritte – die deutsche – Position einzunehmen. Das bedeutet nicht, dass man auf der persönlichen und privaten Ebene nicht mitfühlen oder mit einer Seite sympathisieren kann – aber im Kant'schen Sinne kann man das nicht verallgemeinern.

Nachhaltig denken

All diese Überlegungen führen zum Ausgangspunkt zurück: Die deutsche Rechte ist als heftig bekämpfte Opposition in Passivität, aber nicht in Lethargie gefangen. Der neue Krieg zwischen Hamas und Israel lässt sich aber durchaus mehrdimensional nutzen: Die AfD kann darauf verweisen, dass sie das Gewaltpotenzial der pro-palästinensischen Akteure in der Region, aber auch in Europa schon immer besser gekannt und benannt hat und dass beispielsweise die anderen Fraktionen im Bundestag ihrem Antrag, die Gelder für die Palästinenser zu kürzen, nicht zugestimmt haben. Ebenso kann in Partei und Vorfeld der Krieg zur Klärung der eigenen Position genutzt werden, um in Zukunft so etwas wie ein Strategiepapier zum Nahen Osten zu entwerfen. Es liegt an den skizzierten Akteuren, die angesichts eines neuen Konflikts schnell zur Parteinahme neigen, sich die Frage zu stellen, welche geo- und außenpolitischen Interessen sie vertreten – deutsche oder westextreme?  Oder andere? Manche Vertreter aus dem nicht-linken Spektrum fordern bereits, dass der „Gaza-Streifen von der politischen Landkarte verschwinden“ müsse – solche undifferenzierten, rein auf emotionalen Ausbrüchen und falschen Loyalitäten basierende Reaktionen führen in die Sackgasse. Sie dienen und helfen uns nicht, sondern machen uns nur zu Helfershelfern fremder Mächte. Vor allem werden so auch die historischen und aktuellen Gründe für die Gewaltausbrüche ignoriert.

Vielleicht führt dieser Konflikt zu neuen, fruchtbaren Debatten über eine genuin rechte Geo- und Außenpolitik. Vielleicht auch nicht. Die Rechte darf sich nicht pauschal auf eine Seite stellen – weder auf die der USA, Chinas, Israels, Palästinas oder wessen auch immer. Was zählt, ist die deutsche und die europäische Position, auch wenn es anhand der verstörenden Bilder und Berichten manchmal schwer fallen mag. Aber eines ist klar: Die barbarischen Übergriffe auf Zivilisten, die Ermordung unbeteiligter Festivalbesucher, die Entführung israelischer Senioren und die Schändung von Leichen sind auf das Schärfste zu verurteilen. Die Palästinenser in Gaza und ihre politische Vertretung, die Hamas, werden sich mit diesem unheiligen Verhalten zu Recht ins Abseits manövrieren und ihrer Sache schaden, die durchaus auf bedenkenswerte Punkte wie die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels und den prekären, rechtlosen und von israelischer Willkür abhängigen Zustand in Gaza hinweisen kann – keine israelische Gewalttat der Vergangenheit kann die Schreckenstaten am Samstag rechtfertigen, höchstens nur verstehbar machen. Der Gaza-Konflikt ist älter und eine langfristige Gewaltspirale. Zudem hat die Hamas wohl ihr eigenes Todesurteil unterschrieben, denn die Gewalttaten werden der israelischen Führung als Rechtfertigung für harte Gegenmaßnahmen dienen, die zu Lasten der Zivilbevölkerung gehen. Die nächsten Schritte sind klar: Europa muss die Finanzierung der genannten Akteure sofort einstellen und Terrorsympathisanten ausweisen.


Zur Person:

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Im Sommer 2020 war er Mitgründer des konservativen Onlinemagazins konflikt. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei FREILICH. Seine Interessensgebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Twitter: https://twitter.com/Bruno_Wolters

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