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Bergkarabach: Wieso die Rechte an der Seite Armeniens stehen sollte

Europas Gaslieferant Aserbaidschan greift nach Bergkarabach und schielt bereits auf den Süden Armeniens. Militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch scheint die Sache klar und Europa zum Zuschauen verdonnert. Doch wen, wenn nicht die älteste christliche Nation der Welt sollte man im Südkaukasus unterstützen? Lukas Largo skizziert einen Konflikt, der nicht so recht in die außenpolitischen Diskussionen unserer Zeit passen will.

Kommentar von
25.9.2023
/
5 Minuten Lesezeit
Bergkarabach: Wieso die Rechte an der Seite Armeniens stehen sollte

Armenische Flagge, im Hintergrund der heute türkische Kleine Ararat.

© Lukas Largo

Der Konflikt um Bergkarabach wird in diesem Jahr hundert Jahre halt (siehe Gert Bachmanns Text über die historischen Hintergründe) – vielleicht passt er deshalb so wenig in die außenpolitischen Schemata dieser Tage. Die wahlweise feministische oder „wertegeleitete“ Außenpolitik des Westens führt er ad absurdum: Statt eines russischen Angriffskriegs wurde über unsere Erdgasimporte nun eben ein aserbaidschanischer finanziert, der mit der monatelangen Aushungerung der Karabach-Armenier eher an einen Völkermord erinnert. Doch während der „Wertewesten“ die Ukraine bis zum letzten Mann gegen eine Atommacht kämpfen lässt, kann das kleine Aserbaidschan offenbar nur am Verhandlungstisch von einem Genozid abgehalten werden (Fabian Küble hat an anderer Stelle die geopolitische Dimension des Konflikts beschrieben).

Aber auch den Freunden einer multipolaren Weltordnung zeigt Bergkarabach deren Implikation für kleine Völker auf. Die Armenier auf beiden Seiten des Latschin-Korridors drohen gerade unter einem wiedererstarkenden türkischen Pol zwischen Ankara und Baku zermalmt zu werden, kaum dass der russische Gegenpol seine Kräfte in der Ukraine gebunden sieht. Sofern es wirklich bloß russische Schwäche war, die Putin untätig bleiben ließ: Russland galt jahrzehntelang als Schutzmacht der Armenier, nach dem Wahlsieg von Ministerpräsident Nikol Paschinjan sind die Beziehungen allerdings zunehmend abgekühlt. Grund ist Paschinjans vorsichtige Suche nach zuverlässigeren Verbündeten in Frankreich und den USA mit ihrer großen armenischen Diaspora, nachdem Russland Unterstützung im Krieg von 2020 allenfalls kosmetisch war.

Ein Jahrtausend alte christliche Kultur

Doch so verworren der Konflikt um Bergkarabach diplomatisch sein mag, so einfach ist er historisch. Dass Bergkarabach von der Weltgemeinschaft als Teil Aserbaidschans anerkannt wurde, hat einen ähnlichen historischen Hintergrund wie die Krim als Teil der Ukraine. War es bei der Krim Chruschtschow, der sie Anfang der 1950er-Jahre Kiew zuschlug, so war es bei Bergkarabach drei Jahrzehnte zuvor Stalin, der das autonome Gebiet 1923 entgegen jeder ethnischen oder religiösen Logik der Aserbaidschanischen statt der Armenischen SSR zuschlug. Doch schon damals lebten in der Region mehrheitlich christliche Armenier, wovon über achtzig armenische Klosterkirchen und unzählige Chatschkare, jahrhundertealte armenische Kreuzsteine, zeugen, die von der Levante bis Karabach armenisches Siedlungsgebiet markieren.

Nach dem Verlust von über 1,5 Millionen Landsleuten durch den Völkermord der Jungtürken und dem heiligen Berg Ararat, den Lenin 1921 an die Türkei abgetreten hatte, war Bergkarabach der nächste schmerzliche Verlust für die Armenier. Kein Wunder, dass der Konflikt Ende der 1980er-Jahre wieder aufflammte, kaum dass sich das Ende der Sowjetunion abzeichnete. Dass sowohl Aserbaidschan als auch Armenien die Region für sich beanspruchen? Geschenkt. Die Fahne der international nicht anerkannten Republik Arzach macht deutlich, zu welchem Elternteil das Kind gehören will: zu „Mutter Armenien“, wie die 50 Meter hohe Siegesstatue oberhalb von Jerewan genannt wird. Arzachs Fahne ist die armenische rot-blau-orange mit einem abgetrennten Puzzleteil. Sie weht in Jerewan nicht nur an der einzigen ausländischen Botschaft Arzachs, sondern eigentlich überall, vom Militärladen bis zum Szenecafé. Ob Arzach nun ein Teil Armeniens ist oder ein eigenständiger Staat, den allerdings auch Jerewan nie offiziell anerkannt hat, ist angesichts der aserbaidschanischen Bedrohungslage immer zweitrangig geblieben.

Droht ein neuer Genozid?

Das nur eintägige Wiederaufflammen der Kämpfe am 19. September 2023 hat hier Fakten geschaffen, die Jerewan so schnell nicht wieder rückgängig machen dürfte. Denn mit der Entwaffnung Arzachs, der die Zwergrepublik angesichts der aserbaidschanischen Übermacht notgedrungen zustimmen musste, soll das Gebiet nun den Aseris einverleibt werden. Was das für die 120.000 Armenier bedeuten könnte, schwant vielen aufgrund ihrer jahrhundertelangen Verfolgungsgeschichte, aber auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre. Die aserbaidschanische Führung macht aus ihrer Verachtung keinen Hehl. In den Reden des aserbaidschanischen Diktators Ilham Alijew, aber auch in weiten Teilen der Medienöffentlichkeit Bakus sind Armenier wahlweise „Ratten“, „Vandalen“ oder „wilde Bestien“, die aus Aserbaidschan verschwinden sollen, wenn sie nicht sterben wollen. Und noch im Krieg von 2020 posierte der Diktator stolz zwischen den aufgespießten Helmen getöteter armenischer Soldaten.

So schrieb Franz Werfel in seinem berühmten Werk Die vierzig Tage des Musa Dagh, das als erstes Buch den Völkermord an den Armeniern in der deutschen Öffentlichkeit bekannt machte: „Den Armeniern winkte kein Schutz, keine Hilfe, keine Hoffnung. Sie waren keinem Feinde in die Hände gefallen, der aus Gründen der Gegenseitigkeit das Völkerrecht achten musste. Sie waren einem weit schrecklichem, einem ungebundenen Feind in die Hände gefallen: dem eigenen Staat.“

Alijews Hass macht auch vor dem armenischen Kulturerbe nicht halt. Im Jahr 2020 bombardierten die Aseris die historische Kathedrale von Schuschi, nach der Eroberung der Stadt fluteten Videos von weiteren geschändeten Kirchen das Internet. Schon in den 90er-Jahren, noch unter Alijews Vater Heyder, hatte das Regime seine eigene Barbarei zur Schau gestellt, als es die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan von Chatschkaren säuberte. 2005 folgte die Verwüstung des 1.200 Jahre alten armenischen Friedhofs von Culfa durch aserbaidschanische Streitkräfte.

Welche Position die europäische Rechte einnehmen könnte

Gerade wegen Nachitschewan sollten sich die Armenier nicht allzu sicher fühlen. Denn dass die aserbaidschanische Exklave ausgerechnet durch den Südarm Armeniens vom Mutterland getrennt ist, ist dem Regime in Baku schon lange ein Dorn im Auge. Alijew bezeichnete die Republik Armenien in seinen Reden immer wieder als „West-Aserbaidschan“ und ließ im September 2022 auch Städte im armenischen Kernland mit Raketen beschießen. Eine Regelung im Waffenstillstandsabkommen von 2020, die Aserbaidschan einen Korridor zu seiner Exklave in Aussicht stellte, dürfte mit der Einverleibung Arzachs wieder auf die Tagesordnung kommen – zumal sie auch im Interesse der Türkei liegt, die damit nicht nur einen Korridor zu den Gasvorkommen am Kaspischen Meer erhalten, sondern auch die zentralasiatischen Turkvölker der Stan-Länder näher an Ankara heranrücken würde.

Wie sollte sich die europäische Rechte dazu positionieren? Zunächst einmal: Kein ausländischer Konflikt dürfte das rechtskonservative Lager so sehr spalten wie zuletzt der Krieg in der Ukraine. Doch anders als im dortigen Bruderkrieg sind die Fronten in Armenien trotz aller diplomatischen Verwicklungen denkbar klar. Hier kämpfen nicht „Brüder“ gegeneinander, sondern eine jahrtausendealte Hochkultur gegen ein barbarisches Regime, dessen wirtschaftlicher Fortschritt sich allein aus seinen Rohstoffreserven speist. Zwar spielen religiöse Motive eine untergeordnete Rolle, und das schiitische Aserbaidschan hat ein vergleichsweise säkulares Regime. Doch wer Kirchen und Friedhöfe aus nationalistischen und nicht aus islamistischen Gründen schändet, verdient auch in Europa Ächtung und nicht Sympathie.

Ein Interessensdilemma

Und so bleibt die Frage nach Gut und Böse im Kaukasus vor allem eine Frage des Herzens, nicht der Taktik. Das kleine Armenien kann weder geopolitische Vorteile noch Rohstoffvorkommen in die Waagschale werfen, die so oft darüber entscheiden, auf wessen Seite sich moderne Staaten schlagen. Das war schon 1915 so, als das Kaiserreich den Völkermord an den Armeniern aus kriegstaktischen Gründen unwidersprochen ließ, um den osmanischen Verbündeten nicht zu verärgern. Im Jahr 2023 könnte es die Erdgasabhängigkeit von Baku sein, in die Ursula von der Leyen die EU im letzten Jahr sehenden Auges manövriert hat, die uns daran hindert, beherzter für Armenien einzutreten.

Was für die Unterstützung der Armenier spricht, wirkt wie aus der Zeit gefallen: Mit der Bewahrung eines der ältesten Kulturvölker Eurasiens und der ersten christlichen Nation der Welt lassen sich weder Häuser heizen noch Wahlkämpfe gewinnen. Vor allem aber stoßen solche moralischen Argumente ausgerechnet bei jenen auf taube Ohren, die vorgeben, Außenpolitik nach moralischen Kriterien zu betreiben - denn das christliche, über alle Maßen patriotische Armenien passt so gar nicht in die Moral, die der aufgeklärte Westen heute in die Welt senden will. Vielleicht schafft es die armenische Fahne deshalb nicht in die Twitter-Bios des Juste Milieu, und deutsche Waffen werden, anders als in der Ukraine, wohl nie den Weg hinter den Ararat finden. In einer von rechten Werten geleiteten Außenpolitik sollte Europa seinen ältesten Glaubensbrüdern nicht nur rhetorisch zur Seite stehen.


Zur Person:

Lukas Largo ist ein konservativ-katholischer Aktivist.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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