Freilich #35: Und tschüss!

Neumanns Erstlingswerk: Schocktherapie für die europäische Rechte

Mit „Amerikanismus – Die Ideologie der westlichen Moderne“ legt Marvin T. Neumann eine kompakte, aber fundierte Analyse der Grundlagen des US-amerikanischen Selbstverständnisses vor. Alexander Partsch beschreibt das Buch als heilsame Schocktherapie für eine souveräne Rechte.

Kommentar von
16.9.2025
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5 Minuten Lesezeit
Neumanns Erstlingswerk: Schocktherapie für die europäische Rechte

Marvin Neumann hat mit dem Band „Amerikanismus – Die Ideologie der westlichen Moderne“ seinen Einstand als Buchautor gegeben. Dafür hat er sich, wie der Titel schon verrät, ein Thema gewählt, über das gleich ein ganzes Dutzend an Bänden hätte verfasst werden können. Und so nimmt er uns während etwas mehr als 100 Seiten mit auf einen ziemlich straffen Gewaltmarsch durch die letzten knapp 400 Jahre Amerika – oder vielmehr durch die Geschichte des Selbstverständnisses und Sendungsbewusstseins der USA, eben des Amerikanismus.

Amerikanismus als Leitideologie des Westens

Wie Neumann in seinem Vorwort richtig feststellt, ist der Amerikanismus die Leitideologie des Raumes, der heute als Westen bezeichnet wird. Von daher ist die Beschäftigung mit dieser Ideologie keine historische Ex-post-Betrachtung wie die von bundesdeutschen Boomern bis heute stattfindende Abarbeitung am real existierenden Sozialismus des Ostblocks. Sie ist im Gegensatz dazu insbesondere für eine sich als souverän verstehende europäische Rechte lebensnotwendig zum Verständnis der eigenen Lage. Neumanns Buch zeigt dabei auch auf, dass die heutige dem Englischen entlehnte Verwendung des Begriffs Westen als Synonym für Europa, das Abendland oder die Gesamtheit der weißen Völker eine mehr als bittere Pointe ist.

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Aber von vorne: Neumann beginnt seine Analyse vor der eigentlichen Staatsgründung der USA und blickt in die Zeit der puritanischen Siedler im 17. Jahrhundert. Dabei arbeitet er mehrere Aspekte heraus: Neben dem durch die Erfahrung der europäischen Konfessionskriege manifesten Anti-Katholizismus ist dies der dem Puritanismus und seinen verwandten Strömungen innewohnende Hang zum Universalismus und zur Abstrahierung menschlicher Moralverpflichtungen von den konkreten Lebensverhältnissen. Dies war ein Bruch mit der Lebensrealität der europäischen Völker, die an ihre Scholle und ihre Abstammungsgemeinschaften gebunden blieben.

Eine Kampfansage an den alten Kontinent

Ein weiterer interessanter Aspekt dabei ist die schon bei den Puritanern zu findende Identifikation des neuen Kontinents als ein offensiv als solches auftretendes Anti-Europa. Dies nicht nur aus einer Gegnerschaft zum Katholizismus und zu den tradierten Gesellschaftsformen in Europa, sondern als offene Kampfansage an die organische Gemeinschaft der europäischen Völker schlechthin zu deuten. Das bis heute in den USA ostentativ gepflegte Desinteresse am sogenannten Alten Europa hat sehr tiefe Wurzeln.

Von den Puritanern spannt Neumann den Bogen zu den Gründervätern der amerikanischen Unabhängigkeit. Hier weist er auf das Fortleben der spezifisch religiösen Vorstellungen jedenfalls eines Teils der Puritaner in den säkularisierten Heils- und Universalitätsvorstellungen von solch bedeutenden Männern wie Thomas Jefferson, Alexander Hamilton und John Adams hin. Man kann darüber streiten, ob man diese Form des freimaurerischen Universalismus und Progressivismus wirklich noch direkt mit christlichen Vorstellungen in Verbindung setzen kann; auch in den USA ist dies ja bis heute umstritten. Neumann lässt das offen, weist aber zumindest auf gemeinsame Elemente in beiden Gruppen hin.

Amerikanismus als Leitideologie des Westens

Dass es jenseits der Ostküstenelite, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer stärker mit der Finanzelite identisch wurde, auch noch ein anderes Amerika gab, lässt Neumann nicht unerwähnt. Das betraf die Masse der anglo-protestantischen Bevölkerung, aber auch die zugewanderten Gemeinschaften aus anderen west-, nord- und mitteleuropäischen Ländern, die in den USA organische Herkunftszusammenhänge bildeten. Das universalistische Umerziehungsprojekt der US-Führungsschicht erreichte diese überwältigende Bevölkerungsmehrheit nur langsam, und es gab dabei immer wieder Rückschläge. Die Revolte des amerikanischen Südens, die Know-Nothing-Bewegung und in der Gegenwart die MAGA-Bewegung sind Ausdruck davon.

Puritanismus in säkularer Gestalt

Für die deutsche beziehungsweise deutschsprachige mitteleuropäische Rechte muss ein Aspekt noch hervorgehoben werden, auf den auch der Autor ein besonderes Augenmerk legt: der Antigermanismus, der als eine besonders hässliche Ausprägung des Amerikanismus immer wieder hervorgetreten ist – und dies nicht erst mit den Weltkriegen. Zwei seiner bedeutendsten Vertreter waren US-Präsidenten und beide trugen denselben Nachnamen. Während Franklin Roosevelts Abneigung gegen Deutschland relativ weit bekannt ist, ist diese Tatsache bei seinem Vetter Theodore nicht unbedingt Teil des Allgemeinwissens. Bei ihm fand sich das Vorhaben, die Deutschamerikaner in ihrer Identität und Kultur zu brechen, allerdings schon weit vor Beginn des Ersten Weltkriegs in öffentlichen Äußerungen und schriftlichen Hinterlassenschaften wieder, in einer Zeit, als die deutsch-amerikanische Kultur in höchster Blüte stand und die Intelligenz in den USA in nicht geringen Teilen deutscher Herkunft war.

Die ideologische Feindschaft gegen Deutschland als Träger Mitteleuropas kann daher nicht alleine auf die Gegnerschaft in zwei Weltkriegen zurückgeführt werden. Die Gründlichkeit der Auslöschung der deutsch-amerikanischen Identität in den USA ist bei anderen ethnischen Gruppen nie erreicht worden; nirgendwo anders war die Repression derart ausgeprägt. Kaufman und Morgenthau mögen ganz besonders radikale Vertreter des amerikanischen Antigermanismus gewesen sein, aber die Bewegung war breit, von den Eliten gezielt vorangetrieben und leider außerordentlich erfolgreich. Es ist verdienstvoll von Neumann, dies in Erinnerung zu rufen.

Antigermanismus als Kern des Amerikanismus

Die wichtigsten Aspekte und der Kerngedanke des Buches sind damit in Kürze beschrieben. Das Quellenverzeichnis ist ausführlich und – der Natur der Sache geschuldet – fast komplett englischsprachigen Ursprungs. Diese Fleißarbeit sollten sich diejenigen vor Augen führen, die dem Autor in einem ersten Reflex ressentimentgeladenen Antiamerikanismus vorwerfen und die Lektüre des Buches verweigern. Die aus bundesrepublikanischer Sicht brisanten Hauptaussagen des Buches sind empirisch sehr gut belegt.

Eine kritische Anmerkung zum Schluss: Dem begrenzten Umfang des Buches ist wahrscheinlich geschuldet, dass mögliche andere Pfade und Alternativen, die die USA auch hätten nehmen können, kaum ausgeleuchtet werden. Es wird zwar immer wieder implizit die Beharrungskraft und der Widerstand der angelsächsischen Mehrheitsbevölkerung gegen das universalistische Projekt der Eliten angesprochen, aber dies bleibt etwas im Ungefähren. Interessant wäre gewesen, über nativistische Bewegungen in den USA mehr zu erfahren.

So entsteht dann ein Bild von den USA, das sehr deterministisch geprägt ist ab Ankunft der Mayflower in Virginia. Nun soll ein politischer Autor natürlich auch nicht ins wilde Spekulieren abdriften, aber die Verlockung ist eben da, in der Rückschau vieles für vorgegeben zu halten, was für Zeitgenossen noch als völlig offen erschien. Dieser Aspekt kann aber sehr gut in einem Fortsetzungsband oder in anderen Formaten vertieft werden. Neumann ist als diskussionsfreudig bekannt und wird sicherlich die Beschäftigung mit dem Thema weiterführen.

Einführung in US-dominierte Weltordnung

Der Autor hat ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt, das mit hohem Tempo und hoher Dichte eine kompakte Einführung in das Problem der heutigen, (noch) amerikanisch dominierten, sogenannten regelbasierten Weltordnung gibt und dabei speziell auf die Situation des europäischen Kontinents aufmerksam macht, der heute faktisch unter der Herrschaft seines erklärten weltanschaulichen Antagonisten steht und sich dabei selbst immer mehr verliert.

Dass Neumann in diesem Buch dem Leser einiges an Vorwissen und weltanschaulicher Prägung abverlangt, ist in Anbetracht der Zielgruppe sicherlich legitim. Wer nichts davon mitbringt, für den ist das Buch wahrscheinlich eine Form der Schocktherapie – ein heilsamer Schock allerdings. Einen solchen kann man der europäischen Rechte im Gesamten während der spätimperialen Phase der Pax Americana nur wünschen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Alexander Partsch

Alexander Partsch ist Naturwissenschaftler und interessiert sich vor allem für Geopolitik und die Dynamik von historischen Epochenbrüchen.

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