Julian Schernthaner zur Vier-Tage-Woche: „Eine Mogelpackung!“

Die Vier-Tage-Woche als Patentrezept gegen alle Probleme am Arbeitsmarkt verkauft. Am Ende ist sie eine Mogelpackung, zulasten einfacher Bürger, denen der Luxus des dritten freien Tages kaum Vorteile bringt.

Julian Schernthaner
3.7.2023
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4 Minuten Lesezeit
Julian Schernthaner zur Vier-Tage-Woche: „Eine Mogelpackung!“
Büroarbeitsplatz und Julian Schernthaner© IMAGO / Panthermedia

Kennen Sie den Pizzaburger oder den Leberkäsekrapfen? Schnell weicht die Vorfreude der Ernüchterung, wenn Sie feststellen, man hat Ihnen keine göttliche Kreation, sondern eine gottlose Beleidigung für den Gaumen serviert. Ähnlich ist‘s mit der Vier-Tage-Woche: Von Gewerkschaften und linksliberalen Parteien als eierlegende Wollmilchsau gegen Arbeitslosigkeit, Arbeitskräftemangel, fehlende Motivation, Krankenstände und als Motor für Produktivität verkauft, nützt sie überlasteten Arbeitern wenig; gut gemeint ist wieder mal das Gegenteil von gut.

Zwischen Arbeitsethos und Mogelpackung

Arbeiten, um leben zu können – oder leben, um zu arbeiten: Das ist längst nur noch Hirnwichserei. Denn in Zeiten explodierender Inflation haben sogar schon Teile der Mittelschicht das Gefühl, dass am Ende des Geldes ziemlich viel Monat übrigbleibt. Das einst von Geier Sturzflug („Bruttosozialprodukt“) persiflierte Arbeitsethos des Wirtschaftswunders ist kaputt. Manch Vollzeitjob löhnt nur knapp über der Armutsgrenze – wozu also schuften?

Junge Menschen wollen etwas von Leben haben und nicht nur für den Boss „funktionieren“. Es gäbe ein Recht auf Freizeit und Regeneration, tönt der neue SPÖ-Chef Andreas Babler – er will die Vier-Tage-Woche à 32 Stunden. Im deutschen polit-medialen Raum werden ähnliche Töne gespuckt. Und dann wäre da noch der Blogeintrag auf der Seite des Weltwirtschaftsforums: Höhere Produktivität, bessere Gesundheit, besser für den Planeten, so der Tenor.

Pilotstudie fernab der Arbeiterrealität

Spätestens der Umstand, dass ausgerechnet die Gralshüter des „Stakeholder-Kapitalismus“, der Menschen eher als verfügbares „Humankapital“ begreift, sich dafür starkmachen, sollte die „Cui bono“-Frage voranstellen. Sowohl das WEF als auch SPÖ berufen sich auf britische Pilot-Studien zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Fast alle Firmen hätten das Modell aufgrund positiver Erfahrungen beibehalten. Doch der Teufel steckt im Detail.

Ausgerechnet jenes Projekt, das die Sozialdemokraten als Leitbild ausmachen, betraf kaum typische „Hackler“-Realitäten – mit einem Imbiss und einer Altenpfleger-Organisation stammten zwei von 61 Betrieben aus dem Niedriglohn-Sektor. Der Großteil betraf „bessergestellte“ Jobs zwischen Architekturbüros, Banken und Tech-Firmen. Für Familien, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, ist die Erhebung nicht sonderlich aussagekräftig.

50 Prozent länger kein Geld für Freizeit

Für diese bedeutet der Kuhhandel: 20 Prozent weniger Zeit im Ausbeuter-Betrieb, dafür 50 Prozent mehr Zeit, in der sie zum Nichtstun verdammt sind, weil jede Freizeit-Betätigung aufgrund erodierender Reallöhne zum Luxus wurde. Wer zwischen der Güte seiner Lebensmittel und der Fähigkeit, seinen Kindern einen Schwimmkurs oder eine Schulsportwoche zahlen zu können, abwägen muss, dem bringt mehr Leerlauf keine neue Lebensqualität.

Betroffene würden die Zeit eher zur Aufbesserung der Familienkasse nützen, in Teilzeit einen Zweitjob annehmen. „Neu geschaffene“ Arbeitsplätze würden somit von jenen eingenommen, denen man im Hauptjob die Arbeitszeit-Verkürzung mit „mehr Freizeit“ verkaufte. Aus 40 Stunden werden so 50 Stunden – und nach wenigen Jahren bleibt unter dem Strich dasselbe Geld, weil Arbeitgeber wegen höherer Kosten bei der nächsten Lohnrunde knausrig sind.

Nulllohnrunden und Stellenabbau drohen

Dies zeigte sich bereits in Frankreich nach der Einführung der gesetzlichen 35-Stunden-Woche. Tatsächlich wurden zwar im Niedriglohnsektor neue Arbeitsplätze geschaffen, aber die Löhne blieben faktisch drei Jahre lang auf demselben Niveau eingefroren, um die Arbeitskosten stabil zu halten. In der ärgsten Inflation seit Jahrzehnten hätte dies aktuell fatale Folgen für die Kaufkraft des Mittelstands und den Lebensstandard einfacher Bürger.

Bei Schichtarbeitern bedeutet „weniger Arbeit bei vollem Lohn fallende Reallöhne im Laufe der Jahre – oder im anderen Fall zu einer Ausdünnung der Belegschaft, wie sich beim deutschen Feldversuch der Arbeitsverkürzung im Print- und Metallsektor in Deutschland ab 1984 zeigte: Die Beschäftigungseffekte waren negativ, auch weil – anders als in Frankreich – nicht die öffentliche Hand das Modell mit dem Geld der Steuerzahler subventionierte.

Weniger Arbeitslohn – weniger Verwaltungsjobs?

Ganz neu ist die Vier-Tage-Woche ohnehin nicht – im Niedriglohnsektor verteilte man in diesem Modell bislang einfach die Arbeitszeit anders – auf vier „lange“ Arbeitstage. Die Betroffenen bekamen – auch wegen geringerer Überstundenbereitschaft – letztlich sogar oft weniger Gehalt, wie eine US-Langzeitstudie nachwies. Spruchreif ist das Modell hingegen eher noch in Verwaltungsjobs, in kreativen Berufen und bei hochtechnisierten Stellen.

Ausgerechnet dort wird aber Automatisierung und Künstlicher Intelligenz das meiste Potenzial eingeräumt, WEF-Gründer Klaus Schwab prophezeite 2016 eine „kreative Zerstörung von Arbeitsplätzen“ im Zuge der Vierten Industriellen Revolution. So dient die Verkürzung bestenfalls der Verhinderung von Massenkündigungen – aber nicht zur Schaffung neuer Posten.

Keine Golfplatz-Runde für Normalsterbliche

Diese – in der Regel gut bezahlten – Berufsgruppen sind ohnehin die Einzigen, bei denen sich „Jobsicherheit“ und „mehr Freizeit“ irgendwie verbinden lassen. Mit folgender Einschränkung: Zuerst „eingespart“ wird auch dort in Zukunft die weniger betuchte Sekretärin und der mittelprächtig bezahlte Sacharbeiter – und nicht der Bereichsleiter, der dann sehr wohl einen Tag länger als bislang auf den Golfplätzen dieser Welt verbringen kann.

Für „Normalsterbliche“ heißt die Realität hingegen mutmaßlich: Noch mehr Leistung in weniger Arbeitszeit vollbringen – und dann ausbleibende Gehaltserhöhungen mit Nebenjobs ausgleichen. Für normale Arbeiter und weite Teile des Mittelstandes bleibt das versprochene Freizeit-Plus in der Realität eine Karotte vor der Nase, die er im schlimmsten Fall auch noch mit einer höheren Abgabenlast finanzieren muss. „Sozial gerecht“ ist das nicht.


Zur Person:

Julian Schernthaner, geboren 1988 in Innsbruck, ist studierter Sprachwissenschafter und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.