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FREILICH-Wahlanalyse: Landtagswahl Niedersachsen 2022

Die AfD hat bei den vergangenen Wahlen in Niedersachsen mit 10,9 Prozent einen überraschenden Erfolg eingefahren. Vor dem Hintergrund, dass Niedersachsen vor allem als besonders stabile Hochburg von CDU und SPD gleichermaßen gilt, ist es erstaunlich, dass es der AfD gelungen ist, erstmals bei einer Wahl in Niedersachsen – egal, ob Landtagswahl, Bundestagswahl, EU-Wahl oder Kommunalwahl – ein zweistelliges Ergebnis zu erringen. Doch wie kam dieser Erfolg zustande und welche Besonderheiten weist er auf?
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FREILICH-Wahlanalyse: Landtagswahl Niedersachsen 2022

Symbolbild: Pixabay [CC0]

Die AfD hat bei den vergangenen Wahlen in Niedersachsen mit 10,9 Prozent einen überraschenden Erfolg eingefahren. Vor dem Hintergrund, dass Niedersachsen vor allem als besonders stabile Hochburg von CDU und SPD gleichermaßen gilt, ist es erstaunlich, dass es der AfD gelungen ist, erstmals bei einer Wahl in Niedersachsen – egal, ob Landtagswahl, Bundestagswahl, EU-Wahl oder Kommunalwahl – ein zweistelliges Ergebnis zu erringen. Doch wie kam dieser Erfolg zustande und welche Besonderheiten weist er auf?

Infratest dimap für die Tagesschau und die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF haben zahlreiche Statistiken erarbeitet, die für eine genauere Analyse von Nutzen sind.

Thematisch spielten für die AfD-Wähler, wie im Vorfeld zu erwarten war, die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die größte Rolle. So gaben 37 Prozent aller befragten AfD-Wähler an der Wahlurne an, dass die Preissteigerungen das wichtigste Thema für sie waren, dicht gefolgt von der Energiekrise mit 30 Prozent. Auf dem dritten Platz gelistet werden die Arbeitsplätze mit 15 Prozent. Andere Themen wie beispielsweise der Umgang mit Corona oder spezifische landespolitische Angelegenheiten haben hingegen eine sekundäre Rolle gespielt. Die Niedersachsenwahl war demnach vor allem von bundespolitischen Entwicklungen dominiert.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246230.shtml

Der Kurs der AfD in der eben erwähnten Corona-Politik hat sich jedoch im Nachhinein ausgezahlt. So bewerten immerhin 20 Prozent aller niedersächsischen Wähler den immerwährenden Einsatz der AfD gegen Corona-Beschränkungen als positiv. Jeder dritte Wähler goutiert sogar, dass sich die AfD kontinuierlich gegen eine unkontrollierte Einwanderung einsetzt. Immerhin 18 Prozent stehen der Russlandpolitik der AfD wohlwollend gegenüber. Das sind Werte, die weit über dem Wahlergebnis der AfD von knapp elf Prozent liegen.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246236.shtml

Das belegt, dass es der AfD inzwischen gelingt, ihre Programmpunkte an relevante Wählergruppen zu vermitteln. Gerade das Drittel, das die Ablehnung der AfD gegenüber ungeregelter Zuwanderung befürwortet, ist ein wichtiger Maßstab, um die allgemeine Ablehnung gegenüber der AfD zu quantifizieren. Das Meinungsforschungsinstitut INSA hat in seiner Potentialanalyse vom 04. Oktober 2022 festgestellt, dass dieser Ablehnungswert aktuell bundesweit 61 Prozent beträgt. Es ist davon auszugehen, dass er in Niedersachsen etwas höher liegt, also bei etwa zwei Dritteln, was zirka dem Komplement der migrationskritischen Wähler entspricht. Die gesellschaftliche Akzeptanz der AfD hängt demzufolge primär von der Positionierung in der Migrationsfrage ab.

Quelle: https://www.insa-consulere.de/insa-analysis-potentiale/

Dass 99 Prozent aller AfD-Wähler laut Infratest dimap der Parteiprogrammatik entsprechend eine Verschärfung der Migrationspolitik befürworten, stützt die These, dass die Akzeptanz der AfD maßgeblich vom Faktor Migration abhängig ist. 84 Prozent aller AfD-Wähler stehen dem AfD-Kurs in puncto Corona positiv gegenüber und immerhin 72 Prozent gegenüber der Positionierung im Russland-Ukraine-Konflikt. Dies sind – angesichts der Tatsache, dass sowohl der Corona- als auch der Russland-Kurs der AfD innerhalb der Partei und der Wählerschaft zu Beginn kontrovers diskutiert wurden – zufriedenstellende Werte, die aber nicht so hoch sind wie der Zustimmungswert zur Migrationspolitik.

Insgesamt passt ins Bild, dass die AfD mit ihren Alleinstellungsmerkmalen in den Politikbereichen Migration, Corona und Russland bzw. Energie für 90 Prozent aller AfD-Wähler die einzige Option darstellt, mit der der Unmut gegenüber der Regierungspolitik ausgedrückt werden kann, was den Ruf der AfD als Protestpartei untermauert. In diesem Kontext ist es folgerichtig, dass 52 Prozent aller AfD-Wähler ihre Stimme aufgrund der Enttäuschung über andere Parteien abgegeben haben (parteiübergreifender Wert 30 Prozent).

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246238.shtml

Die Haltung der AfD-Wähler zur Politik der Bundesregierung ist in Bezug auf die geschilderten Tatsachen sehr eindeutig: Die Ampelregierung reagiere zu langsam, eine klare politische Linie sei, wohlweislich aufgrund der Dispute zwischen dem SPD-Grüne-Block und der FDP, nicht erkennbar, die Wirtschaftspolitik sei nicht pragmatisch ausgerichtet, dementsprechend müssten die Russland-Sanktionen reduziert oder abgeschafft und die Ukraine nicht im Krieg unterstützt werden.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-bundespolitik/chart_1242003.shtml

Da die AfD-Wähler eine hohe Übereinstimmung mit den programmatischen Zielen der Partei haben, deren Spitzenkandidat Stefan Marzischewski-Drewes als völlig unbekannter Kommunalpolitiker aus dem ostniedersächsischen Gifhorn bis vor kurzem politisch nicht wahrnehmbar war (im August kannten ihn gerade einmal 18 Prozent aller niedersächsischen Wähler und schwache 36 Prozent aller AfD-Wähler), ist es unter Berücksichtigung des Daseins als klassische Protest- und weniger Stammwählerpartei schlüssig, dass sich drei Viertel aller AfD-Wähler wegen des Programms für ihre Partei entschieden haben.

Ein weiterer Punkt, in dem AfD-Wähler dem Meinungsbild ihrer Partei entsprechen, ist die Bejahung zahlreicher Schlüsselfragen, die seit Jahren im AfD-Parteiprogramm berücksichtigt werden. Keine andere große Partei kann in diesen Fragen auf eine Wählerschaft verweisen, die diese Fragen so eindeutig beantwortet. Dass die AfD seit Jahren nicht nur eine striktere Migrationspolitik, sondern auch eine Energiepolitik, die vor allem auf Sicherheit und geringen Verbraucherkosten ausgelegt ist, im Parteiprogramm verankert hat, kommt ihr nun zugute. Überdies liegt der Schluss nahe, dass ein wichtiges Kernthema der AfD seit Parteigründung, nämlich der finanziellen Entlastung der Bürger im Allgemeinen, ebenfalls positiv in der Wahlentscheidung zahlreicher Bürger berücksichtigt wurde.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246240.shtml

Alles in allem dürfte es der AfD genutzt haben, dass die Wähler seit dem Einzug der AfD in die Bundes- und Landesparlamente wesentlich mehr Vertrauen in die sachpolitischen Fähigkeiten der Vertreter der AfD haben. Elf Prozent aller Wähler sind der Auffassung, dass die AfD in der Lage sei, die Kriminalität im Land wirksamer zu bekämpfen – das entspricht dem Wahlergebnis der Partei. Immerhin acht Prozent aller Wähler halten die AfD für geeignet, soziale Missstände zu bekämpfen, immerhin sechs Prozent meinen, die AfD könne Arbeitsplätze sichern oder die Wirtschaft ankurbeln. Diese Werte sind zwar bei weitem besser als noch 2017, aber liegen deutlich unter dem tatsächlichen Wahlergebnis der Partei.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246232.shtml
Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246234.shtml

Dass Männer grundsätzlich eher rechts wählen als Frauen, wird in folgenden Grafiken sichtbar. CDU, FDP und AfD erreichen bei Männern grundsätzlich bessere Werte als bei Frauen, während die SPD und die Grünen ihre Stimmen eher von Frauen als von Männern bekommen. Dass der Abstand zwischen dem Wähleranteil von Frauen und Männern bei der AfD jedoch immer noch am größten ist (vier Prozent Differenz), lässt den Schluss zu, dass charakteristische rechte Themen bei Frauen eher weniger gut als bei Männern ankommen.

Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/thema/landtagswahl-niedersachsen-104.html?slide=A209
Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/thema/landtagswahl-niedersachsen-104.html?slide=A236

Bei der Verteilung der Stimmen auf Altersklassen zeichnet sich wie in den vergangenen Wahlen der gleiche Trend ab. Je älter der Wähler, desto eher wählt er SPD oder CDU, je jünger der Wähler, desto eher tendiert er zur FDP oder zu den Grünen. Die AfD durchbricht dieses Schema, denn während sie bei den Jungen und den Alten wie eh und je schlechter abschneidet, holt sie in den Altersschichten dazwischen bessere Ergebnisse. Ein positiver Trend ist aber auch da zu verzeichnen, denn selbst in den jüngsten Altersklassen holt die AfD Ergebnisse, die über dem Landesschnitt liegen – die Senioren ziehen den Schnitt massiv runter. Die Altersklasse 70 plus ist die einzige, in der die AfD im Vergleich zu 2017 verloren hat, was unter anderem an der besonders großen Vertrautheit von Senioren mit den gängigen Medien und der überaus starken Parteienbindung zu SPD und CDU zu tun haben dürfte.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-afd/chart_1246246.shtml

Überdurchschnittlich starke Ergebnisse hat die AfD im Wählerspektrum mit schlechter wirtschaftlicher Situation erzielt. 21 Prozent dieser Wähler haben ihr Kreuz bei den Blauen gesetzt. Damit weicht der Wert des Parteiergebnisses dieser Wählerkategorie unter allen Parteien am meisten vom Durchschnittswert der Partei ab (plus zehn Prozent). Im Gegensatz dazu haben Wähler mit schlechter wirtschaftlicher Lage deutlich seltener die Grünen gewählt als der Durchschnittswähler (minus sieben Prozent).

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/charts/umfrage-lebensverhaeltnisse/chart_1246650.shtml

Dazu passt ins Bild, dass die AfD vor allem in den gesellschaftlichen Schichten punktet, in denen nicht unbedingt viele Gutverdiener zu finden sind. 17 Prozent aller Arbeiter haben sich für die AfD entschieden, während nur fünf Prozent aller Beamten die Blauen gewählt haben. Angestellte und Selbstständige haben mit neun beziehungsweise zehn Prozent in etwa durchschnittlich oft die AfD gewählt. Der Trend der vergangenen Wahlen, in denen dieses Gefälle der AfD-Wahlergebnisse zwischen Arbeitern und Beamten zu beobachten war, ist somit auch in Niedersachsen vorzufinden.

Bei der Aufschlüsselung der Wahlergebnisse nach Bildungsstand gibt es einen ähnlichen Effekt wie beim Alter. CDU und SPD punkten vor allem bei Wählern mit Haupt- oder Realschulabschluss. Bei Abiturienten oder Akademikern erfahren die beiden großen Parteien weniger Zuspruch, was unter anderem daran liegen könnte, dass die Abiturientenquote bei den älteren Jahrgängen, die CDU und SPD bevorzugt wählen, wesentlich niedriger als bei den jüngeren Generationen ist. Bei den Grünen tritt der umgekehrte Effekt ein, mit zunehmendem Bildungsgrad wächst der Wähleranteil der Grünen, die vor allem auf ihre junge akademisierte Wählerschaft zurückgreifen können. Bei FDP und AfD ist das Wahlverhalten anders gelagert. Während Abiturienten die größte Gruppe unter den FDP-Wählern bilden, hat die AfD den größten Rückhalt bei Personen mit mittlerer Reife. Besonders auffällig ist, dass die AfD unter Akademikern nur sechs Prozent erhält. Das passt mit den Fakten, dass AfD-Wähler häufig Arbeiter sind oder sich in einer schwierigen finanziellen Lage befinden, zusammen.

Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/thema/landtagswahl-niedersachsen-104.html?slide=A440
Quelle: https://www.zdf.de/nachrichten/thema/landtagswahl-niedersachsen-104.html?slide=A428

Bezüglich der Wählerwanderung ist festzustellen, dass die Zahl der absoluten Stimmen der AfD im Vergleich zu 2017 von 245.000 auf 390.000 Stimmen gestiegen ist, was ein Plus von 59 Prozent bedeutet. 165.000 Wähler haben sich sowohl 2017 als auch 2022 für die AfD entschieden, was 42,3 Prozent aller AfD-Wähler von 2022 sind. Dieses Stammwählerklientel beträgt also 4,6 Prozent vom Gesamtwahlergebnis. Die marginalen Abgänge zur CDU sowie zu Kleinparteien sind bezogen auf die Größenordnung zu vernachlässigen. Jeder zehnte AfD-Wähler von 2017 hat den Weg ins Nichtwählerlager angetreten, jeder zwölfte ist verstorben, sechs Prozent der Wähler von damals haben Niedersachsen verlassen.

50.000 Wähler, die 2017 noch der CDU ihr Vertrauen ausgesprochen haben, haben nun AfD gewählt. Damit hat die AfD die meisten neuen Wähler von den Christdemokraten gewinnen können. Insgesamt bilden diese Wähler 12,8 Prozent vom AfD-Wählerstock und 1,4 Prozent unter den gesamten Wählern. Da die AfD insgesamt 50.000 Nichtwähler gewinnen konnte, sind weitere 12,8 Prozent unter den AfD-Wählern des Jahres 2022 und somit 1,4 Prozent unter der gesamten Wählerschaft ehemalige Nichtwähler. Von der FDP konnte die AfD immerhin 40.000 Stimmen gewinnen. Das sind 10,3 Prozent der Stimmen der gesamten AfD und 1,1 Prozent der Gesamtstimmen. Von der SPD und von Zugezogenen konnte die AfD jeweils 25.000 neue Wähler gewinnen. Das sind jeweils 6,4 Prozent der Wähler innerhalb des AfD-Wählerspektrums und 0,7 Prozent vom gesamten Wahlergebnis. 20.000 Stimmen von anderen Parteien und 15.000 Stimmen von Erstwählern ergänzen die Wählerwanderungen zur AfD.

Wählerwanderung ist festzustellen, dass die Zahl der absoluten Stimmen der AfD im Vergleich zu 2017 von 245.000 auf 390.000 Stimmen gestiegen ist, was ein Plus von 59 Prozent bedeutet. 165.000 Wähler haben sich sowohl 2017 als auch 2022 für die AfD entschieden, was 42,3 Prozent aller AfD-Wähler von 2022 sind. Dieses Stammwählerklientel beträgt also 4,6 Prozent vom Gesamtwahlergebnis. Die marginalen Abgänge zur CDU sowie zu Kleinparteien sind bezogen auf die Größenordnung zu vernachlässigen. Jeder zehnte AfD-Wähler von 2017 hat den Weg ins Nichtwählerlager angetreten, jeder zwölfte ist verstorben, sechs Prozent der Wähler von damals haben Niedersachsen verlassen.

Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-interaktiv-niedersachsen-101.html
Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-interaktiv-niedersachsen-101.html

Zweitstimmenergebnis der AfD nach Wahlkreisen weicht von den vorangegangenen Wahlen durchaus ein wenig ab. Die starken Ergebnisse in den Städten mit hohem Prekariat wie Wilhelmshaven (14,2 Prozent), Delmenhorst (14,9 Prozent) oder Salzgitter (18,4 Prozent) waren zu erwarten. Ebenfalls in das Muster vergangener Wahlergebnisse passen die Werte zwischen Goslar und Uelzen, die mit Ausnahme von Braunschweig stets besser als zwölf Prozent sind, sowie die knapp 15 Prozent im Süden der Lüneburger Heide, der traditionell eher rechts als die meisten Landstriche Niedersachsens ist. Überraschend ist jedoch die Stärke der AfD im besonders protestantischen und kulturell wie sprachlich vom Rest Niedersachsens leicht abgekapselten Ostfriesland mit Werten teils oberhalb von 15 Prozent, die früher so nicht absehbar waren. Die Stärke der AfD im Raum Cloppenburg mit Werten rund um 14 Prozent hängt vor allem deshalb nicht mit der Schwäche in den anderen katholisch geprägten Regionen wie Vechta, dem Emsland, Osnabrück oder Duderstadt zusammen, da sich AfD-affine Russlanddeutsche innerhalb Niedersachsens vor allem auf Cloppenburg konzentrieren.

Die schwächsten Werte erhält die AfD ebenfalls erwartungsgemäß vor allem in universitär geprägten Großstädten, allen voran Göttingen mit 4,6 Prozent, aber auch in Hildesheim, Hannover, Braunschweig und Oldenburg. Der Umfrage von Infratest dimap entsprechend, dass unter den Konfessionen sieben Prozent der Katholiken die AfD wählen, aber zehn Prozent aller Protestanten und 13 Prozent aller Konfessionslosen, liegt die AfD in den ländlichen katholischen Gegenden ebenfalls weit zurück.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/

Die AfD konnte in allen 87 Wahlkreisen Stimmen dazugewinnen. Während die Gewinne im Vergleich zu 2017 in den Universitätsstädten eher gering waren (niedrigste Zugewinne in Göttingen mit 0,6 Prozent), konnte die AfD vor allem ausnahmslos in den Regionen, in denen sie gute Ergebnisse eingefahren hat, stark hinzugewinnen, in Ostfriesland und Gifhorn teils über neun Prozent.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/

In 38 Wahlkreisen wurde die AfD drittstärkste Kraft, was im Vorfeld eher weniger zu erwarten war. Diese Wahlkreise beschränken sich auf die Städte mit prekärer Lage sowie auf die ländlichen Wahlkreise weit jenseits der großen Zentren Hannover, Bremen und Hamburg. Nicht nur anhand dieser Tatsache wird klar, dass der Konflikt zwischen den Grünen und der AfD vor allem einer zwischen Land und Stadt ist.

Quelle: https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2022-10-09-LT-DE-NI/

Mit Blick auf verschiedene Parameter der Bevölkerungszusammensetzung waren nur wenige Abhängigkeiten zwischen Eigenschaften der Bevölkerung und der Zahl der AfD-Wähler festzustellen. So ist ein Zusammenhang zwischen dem Anteil sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter und dem Wähleranteil der AfD nicht erkennbar. Das gilt auch für die Abhängigkeit von der Zahl der Personen in der Mindestsicherung, die in den jeweiligen Wahlkreisen wohnen. Anders sieht es bei der Korrelation mit der Quote der Kinderbetreuung aus: In Wilhelmshaven, Salzgitter, Delmenhorst, Ostfriesland sowie einigen Landstrichen südwestlich von Hamburg und südwestlich und südöstlich von Hannover sind die AfD-Ergebnisse sehr ordentlich, in Wahlkreisen mit hoher Kinderbetreuungsquote liegen nur die Wahlkreise aus dem Wolfsburger Einzugsgebiet weit vorne, während die universitären Großstädte sowie das Emsland klassisch weniger AfD-affin sind.

In einigen Landstrichen quer über Niedersachsen verteilt, in die viele Menschen hinzuziehen, kann die AfD permanent starke Gewinne einfahren. Wo viele Menschen wegziehen, was vor allem akademische Großstädte betrifft, kann die AfD wenig punkten, mit Ausnahme von Südostniedersachsen. In Wahlkreisen mit hohem Anteil an Industriebeschäftigten, die sich vor allem in Süd- und Westniedersachsen befinden, kann die AfD teils kräftig zulegen, während die Zugewinne in Wahlkreisen mit einem geringen Anteil mit Ausnahme von Gifhorn und dem Osten Ostfrieslands eher mager ausfallen.

Folgerungen

Die Migrationspolitik ist und bleibt das Kernthema der AfD, das das harte Entscheidungskriterium ist, ob Wähler überhaupt zugänglich für die AfD sind oder nicht. Diese Tatsache hat sich während Corona und des Ukrainekriegs nicht verändert. Zwar ist es Fakt, dass die AfD primär wegen der Folgen des Ukrainekriegs auf Deutschland gewählt wurde, aber diejenigen Bürger, die davon betroffen sind, die Migrationspolitik der AfD jedoch ablehnen, konnten von der AfD nicht adressiert werden.
Die hohen Zustimmungswerte innerhalb der Wählerschaft der AfD zu deren Positionen in den Bereichen Corona, Energie und Osteuropapolitik lassen darauf schließen, dass die Wähler der AfD mit der gesamten politischen Situation unzufrieden sind, sich oftmals auch in einer schwierigen finanziellen Lage befinden und sich klare Alternativen und Auswege wünschen. Da die AfD im Laufe der Zeit immer mehr den Eindruck vermitteln konnte, dass die Vertreter der Partei fachlich in der Lage sind, die Probleme des Landes anzugehen, konnten die Kompetenzwerte, die der AfD zugeschrieben werden, gesteigert werden, womit anzunehmen ist, dass die AfD heute als seriösere politische Partei wahrgenommen wird, als dies noch zur Landtagswahl 2017 der Fall war. Dass drei Viertel der AfD-Wähler ihre Partei wegen des Programms gewählt haben, passt ins Bild.

Über die eigene Wählerschaft hinaus kann sich die AfD vor allem durch ihre Migrationspolitik und die Positionierung zu den Corona-Maßnahmen profilieren, womit der Schluss nahe liegt, dass die AfD über Parteigrenzen hinweg zum Teil akzeptiert wird. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwei Drittel der Wähler die AfD immer noch strikt ablehnen.

Positiv ist, dass die AfD anders als bei den Landtagswahlen des letzten Jahres bei jüngeren Wählern bessere Wahlergebnisse als im Landesschnitt erzielt. Nichtsdestotrotz bleibt die AfD vorwiegend das Sprachrohr der angestammten Wählerklientel: Männlich, mittelalt, mittlerer Bildungsabschluss. Die Schwäche der AfD bei Senioren und Frauen bleibt hausgemacht. Während bei Senioren wahrscheinlich keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden kann, ist das Potential, die weibliche Wählerschaft erfolgreicher zu umgarnen, durchaus vorhanden.

In zahlreichen Wahlkreisen hat die AfD keinen Direktkandidaten aufgestellt. Das hat der AfD in den betroffenen Wahlkreisen jedoch nicht geschadet. Die Erststimmen sind in entsprechenden Wahlkreisen vor allem an Kandidaten gegangen, die einer Partei angehören, die nicht im Landtag vertreten war, egal, welchem politischen Lager sie zugehörig ist. Im Regelfall waren dies dieBasis, die Freien Wähler oder das Zentrum. Das belegt, dass es AfD-Wählern primär darum geht, gegen die vorherrschenden Zustände im Land zu protestieren und allenfalls sekundär für eine konkrete politische Idee einzutreten. Das würde auch erklären, warum die AfD bei den Konfessionslosen und damit kirchlich-institutionell Unabhängigen hohe Zustimmung hat. Es geht AfD-Wählern um eine grundsätzliche Kritik an Institutionen.

Das Personaltableau der AfD ist im Wahlkampf sehr unscheinbar gewesen. Insgesamt haben nur vier Landtagsabgeordnete, die 2017 eingezogen sind (Stephan Bothe, Peer Lilienthal, Harm Rykena und Klaus Wichmann), erneut kandidiert. Spitzenkandidat Stephan Marzischewski-Drewes ist bis jüngst über Gifhorn hinaus kaum bekannt gewesen. Ergänzt wurde die Landesliste vor allem mit Männern, so haben nur drei Frauen, die immerhin alle dem neuen Landtag angehören werden (Delia Klages, Jessica Schülke und Vanessa Behrendt), auf der Liste kandidiert. Trotz dieser weithin unbekannten Repräsentanten der AfD ist es der Partei gelungen, sichtbar zu bleiben, was offensichtlich an den bundespolitischen Entwicklungen liegt, die die Wahl beeinflusst haben. Das Personal dürfte somit kein Faktor für den Wahlerfolg gewesen sein – es war zwar nicht bekannt, es dürfte die Wähler jedoch auch nicht wirklich abgeschreckt haben.

Die AfD hat erreicht, in höherem Maße Wähler von anderen Parteien abzuwerben. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass Migrationskritiker innerhalb der Wählerschaft von SPD, CDU und FDP den Weg zur AfD gefunden haben dürften, wohlweislich auch welche, die zusätzlich mit der Corona-Politik und der Energiepolitik nicht einverstanden sind. In geringerem Maße konnte die AfD Nichtwähler mobilisieren. Die AfD hat gezeigt, dass es mit einem Kurs, der sich von dem der Konkurrenzparteien absetzt, möglich ist, den anderen Parteien Stimmen abzujagen. Aber die Wahl zeigt auch auf, dass das Potential für die AfD bei Nichtwählern möglicherweise geringer ist als gedacht. Das Stammwählerpotential, das mit der Landtagswahl 2017 abgesteckt werden kann, beträgt in Niedersachsen indes immer noch weniger als fünf Prozent.

Fest steht überdies, dass das laufende Verfahren gegen den frisch in den Landtag eingezogenen Ansgar Schledde, der Listenplätze gegen Geld angeboten haben soll, ebenso wenig geschadet haben dürfte wie andere Skandale wie der fehlende Führerschein des niedersächsischen AfD-Landesvorsitzenden Frank Rinck, die Diskussionen um die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jens Kestner und Paul Hampel wegen deren Führungsstil und deren Finanzen oder dem heftigen Nachtreten des jüngst aus der AfD ausgetreten Ex-Landtagsabgeordneten Christopher Emden.

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen lässt sich sagen, dass die AfD Niedersachsen aus ihren Möglichkeiten sehr viel herausgeholt hat, wobei nicht zu leugnen ist, dass der Bundestrend und auch die Bundespartei einiges zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Wähler der AfD erwarten von ihr nicht besonders viel, aber um die Wähler langfristig zu binden, bedarf es noch einiger Dinge, die in den nächsten fünf Jahren von der Landtagsfraktion in Niedersachsen, der der Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes vorstehen wird, angegangen werden sollten.


Zur Person:

Martin Scheliga, Jahrgang 1997, ist studierter Master-Mathematiker und fertigt für verschiedene Auftraggeber politische Analysen an.

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