Wenn Filme zum Mythos werden – 100 Jahre Fritz Langs „Die Nibelungen“

Mit „Hagen“ bringt Constantin Film eine Neuinterpretation des weltberühmten Nibelungenliedes als sechsteilige Serie auf RTL. Dabei wird sich die Produktion tatsächlich mit epochaler Filmkunst vergleichen lassen müssen, betont Joachim Paul in seinem Kommentar für FREILICH.

Kommentar von
9.3.2024
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4 Minuten Lesezeit
Wenn Filme zum Mythos werden – 100 Jahre Fritz Langs „Die Nibelungen“
Ausschnitt aus dem Film © IMAGO / Bridgeman Images

Der Sender RTL kündigt für Ende 2024 eine „Neuinterpretation des weltberühmten Nibelungenliedes“ an. Die sechsteilige Serie sei „spektakulär“, „man tauche in die Welt des Fantasy-Epos ein“, sie sei „bildgewaltig“ und die Schauspieler böten eine „eindrückliche Performance“. Man spricht bereits vom deutschen „Game of Thrones“. Wer heutzutage mit dermaßen protzigen Adjektiven PR betreibt, wird sich tatsächlich mit epochaler Filmkunst vergleichen lassen müssen. Und da kommt man bis heute an Fritz Langs „Die Nibelungen“ nicht vorbei.

Wer den Namen Fritz Lang (1890-1976) hört, denkt vermutlich zuallererst an die noch immer beliebten Metropolis-Plakate, die in allerlei Variationen in Zimmern von Jugendlichen, Filmpalästen, Schnell-Restaurants hängen oder Plakatsammlungen schmücken. Den gleichnamigen Fritz-Lang-Film aus dem Jahre 1927 indes dürften die wenigsten Sammler tatsächlich gesehen haben. Das gilt auch für den Bösewicht „Dr. Mabuse“, der der älteren Generation noch bekannt ist. Auch er geht auf die große Schaffenskraft Langs zurück. Der österreichische Regisseur, der später die deutsche und nach seiner Emigration1939 auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, war der Erste, der die sagenhaft böse Romanfigur auf Zelluloid bannte. Und Langs Tonfilm „M“ von 1931 gehört nach Meinung französischer Filmschaffenden zu den 100 besten Filmen aller Zeiten (auf Platz 6).

Aber unvergessen ist der Regisseur vor allem für sein zweiteiliges Epos „Die Nibelungen“, das vor 100 Jahren, am 14. Februar 1924 (erster Teil „Siegfried“) und am 26. April 2024 (zweiter Teil „Kriemhilds Rache“) im UfA-Filmpalast am Zoo in Berlin uraufgeführt wurde.

Das deutsche Heldenepos

Lang schuf einen Film, der dem mittelhochdeutschen Heldenepos des 12. Jahrhunderts ein filmisches Denkmal setze. Im ersten Teil zeigte er die Heldentaten der Titelfigur Siegfried bis zu seiner Ermordung im Zuge einer Verschwörung am Hofe zu Worms. Sein einäugiger Widersacher, Hagen von Tronje, war der Welt des Mittelalters als finsterer, aber zugleich großer Krieger bekannt. Wolfgang Hohlbeins Roman „Hagen von Tronje“ von 1986 setzte ihn als Meisterstrategen des Wormser Hofs in Szene. Die Serie von RTL soll sich an dieser Romanvorlage orientieren.

Leider will die Landesregierung von Rheinland-Pfalz nicht die Gelegenheit nutzen, um für das Nibelungenland zu werben. Auf meine Große Anfrage (Drucksache 17/13988), antwortete sie: „Die Landesregierung hat keinen Kontakt mit den Verantwortlichen für die Verfilmung und Neuinterpretation der Nibelungensage auf der Grundlage des Romans 'Hagen von Tronje' von Wolfgang Hohlbein aufgenommen“. Dabei zeigt das doch gerade das Standbild des von Hagens Speer niedergestreckten Siegfried, wie ikonisch Filmszenen wirken können.

Ein besonderes Stück Filmgeschichte

Selbst derjenige von uns, der den Fernsehkonsum aus politischen Gründen erheblich einschränkt, ist heute Opfer moderner Sehgewohnheiten. Üblich sind heute schnelle Schnitte, CGI-Technik und bombastische Toneffekte; bereits gemächlich inszenierte Filme der Schwarz-Weiß-Ära des Tonfilms finden wir deshalb mitunter langweilig. Daher ist es heute nicht leicht, nachzuempfinden, warum der Stummfilm „Die Nibelungen“ die moderne Filmgeschichte derart prägte.

Dabei setzte der Zweiteiler damals neue ästhetische und technische Maßstäbe, die auch noch Jahrzehnte für Erfolg oder Misserfolg eines Filmes galten. Seinen Ruhm verdankte der Film vor allem seiner monumentalen, stilisierten Architektur, den für einen Schwarz-Weiß-Film beeindruckenden Lichteffekten und einer 45-minütigen finalen Kampfszene, die niemand von Belang überlebt.

Die „Nibelungen“

So war der bis dato teuerste deutsche Film ein riesiger Erfolg, was in den unsicheren Zeiten der Weimarer Republik, Stichwort Hyperinflation, keineswegs vorher feststand. Gedreht knapp zwei Jahre lang, von 1922 bis 1924, vereint das Filmepos auch das, was wir uns heute noch von einem guten Film erwarten: eine überdurchschnittliche Leistung der Darsteller, ein Spannungsbogen, der diesen Namen auch verdient, eine mitreißende Geschichte, eine überzeugende Technik, insbesondere eine neuartige Tricktechnik, glaubwürdige Massenszenen und monumentale Bauten, die geradezu einen Stilwillen des Wormser Hofes zum Ausdruck brachten. Das gilt vornehmlich auch für die Kostüme, die sich an den Bildern von Carl Otto Czeschka, der 1908 Franz Keims Buch Die Nibelungen. Dem deutschen Volke wiedererzählt illustrierte, orientierte.

Ein Familienwerk

Drehbuchautorin Thea von Harbou, die Lang noch im Jahr der Produktionsaufnahme ehelichte, hatte „Die Nibelungen“ von Anfang an als Zweiteiler angelegt. Die Gesamtlaufzeit von rund 2,5 Stunden wäre kaum auf einen Film mit halber Länge einzudampfen gewesen. Den Ansatz, den gesamten Nibelungen-Mythos als Schicksalsdrama auf die Leinwand zu bringen und eben keine Einzelschicksale zu beleuchten, zahlte sich aus. Gottfried Huppertz komponierte eigens für das Epos eine ebenfalls monumentale Filmmusik – auch das war bei Stummfilmen keine Selbstverständlichkeit, denn oft genug betrachtete man die Filmmusik nur als beliebige Untermalung.  

Was bleibt?

1966 folgte eine Neuverfilmung in ebenfalls zwei Teilen, der teuerste deutsche Nachkriegsfilm mit zahlreichen Stars, die man auch aus den Karl-May-, den Edgar-Wallace- oder Dr.-Mabuse-Filmen kennt, wie etwa Karin Dor, Terence Hill oder Dieter Eppler. Bislang gelang es aber keiner Produktion, unserem Nationalepos annähernd so gerecht zu werden wie Langs „Die Nibelungen“. Denn Lang drehte sich im Bewusstsein um die Bedeutung des Mythos für Volk und Kultur. Das Erste, was das Publikum nämlich sah, war die Widmung „Dem deutschen Volke zu eigen“.


Zur Person:

Joachim Paul ist Landtagsabgeordneter und bildungspolitischer, medienpolitischer und digitalpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.