„Dune: Part Two“ ist der Film der multipolaren Weltordnung

Mit „Dune: Part Two“ zieht Denis Villeneuve die Kinogänger in eine Sci-Fi-Welt, die auf merkwürdige Art und Weise mit der unseren verbunden ist. Atreiden gegen Harkonnen, Harkonnen gegen Fremen, blinder Fanatismus und eiskalte Machtpolitik: Volker Zierke erklärt in seinem Kommentar für FREILICH, was Dune mit der multipolaren Weltordnung zu tun hat.

Kommentar von
13.3.2024
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5 Minuten Lesezeit
„Dune: Part Two“ ist der Film der multipolaren Weltordnung
© Warner Bros

„Ich bin ein Fremdling geworden im fremden Land“. Nun, Gurney Halleck hat mit diesem Ausspruch im Buch „Der Wüstenplanet“ in Bezug auf uns selbst Unrecht. Denn der namensgebende Planet, die Herrscherhäuser, die um ihn und die entscheidende Ressource Spice ringen, der ausbrechende Krieg, der Befreiungskampf der einheimischen Fremen – all das macht „Dune: Part Two“ ganz und gar nicht fremd. Nein: „Dune: Part Two“ verhandelt all das, was wir gerade ohnehin mit eigenen Augen in der Welt beobachten können. Aber genau wie „das da draußen“ macht es sich Denis Villeneuves neuer Film alles andere als einfach.

Endlich wieder Kino

Mit Jungeuropa-Verlagsleiter Philip Stein und einem sächsischen Lokalpatrioten habe ich kürzlich den Film „Dune: Part Two“ im Kino gesehen (und wenig später hier im verlagseigenen Podcast besprochen). Und es war tatsächlich Kino, das seinen Namen verdient. Die monumentalen Bilder, die druckvolle Geräuschkulisse, die Filmmusik von Hans Zimmer, sie drücken den Zuschauer förmlich in ihre Kinosessel, begeistern, wühlen auf, lassen uns mit Paul Atreides und den Fremen mitfiebern, obwohl wir doch gar nicht mit ihnen mitfiebern dürften. Kino ist Mythos. Paul Atreides muss Messias werden, aber auf dem Weg dorthin wird er einiges opfern. Seine Menschlichkeit, seine Abneigung der Macht gegenüber, vielleicht sogar einstigen hehren Zielen. Der zu Beginn der ersten Dune-Verfilmung von Villeneuve noch 15-jährige Paul (gespielt von Timothée Chalamet) hat einen schweren Weg vor sich, nachdem sein Vater, Herzog Leto Atreides, ermordet wird und das verfeindete Herrscherhaus der Harkonnen den Planeten wieder in Beschlag nehmen will. Paul flüchtet in die Wüste, schließt sich dem Wüstenvolk der Fremen an, nimmt den prophetischen Namen Muad’Dib an und erfüllt möglicherweise eine alte Prophezeiung.

Wenn wir den Film ansehen, meinen wir einen scheinbaren Widerspruch wahrzunehmen: Ja, dieser Junge wird von vielen Fremen als kommender Messias gefeiert. Und in der Tat lernt er schnell, sich dem Volk und seinen Gebräuchen anzupassen. Aber gleichzeitig nährt der Film auch Zweifel: Dieser Junge soll die Revolution, den Krieg gegen die Harkonnen anführen? Darf man solch charismatischen Führern überhaupt vertrauten? Seine Begleiterin Chani, eine Fremen, fürchtet zudem, dass Paul der Macht erliegen könnte – und vielleicht hat Paul Atreides tatsächlich mehr im Sinn als lediglich die Harkonnen zu vertreiben. Wer von Anfang an Paul misstraut, der wird hierfür Argumente finden. Der Film gibt uns aber auch Grund, an Paul zu glauben. Nach allem, was wir sehen, erfüllt sich die Prophezeiung doch. Er kann alles, was die religiösen Texte über ihn sagen. Er muss der Messias sein, sein Kampf ist heilig. Anders gesagt: Auf schwarz-weiß-Schemata verzichtet der Film. Es gibt kein absolutes Böses, keinen Helden mit weißer Weste. Muad’Dib mag Jesus Christus sein – aber auch er war ein Sünder. Daran ändert auch die Darstellung der Harkonnen nichts, die zwar als Gegenspieler der Atreiden in Szene gesetzt werden, die aber eine fast schon merkwürdig kohärent anmutende Philosophie vertreten, in der Gewalt und dem Recht des Stärkeren oberste Priorität eingeräumt wird. Warum die Harkonnen so sind, wie sie sind, das wird im Film eher am Rande behandelt; das muss freilich zugegeben werden.

Als Wesen, die ihrer Menschlichkeit abgeschworen haben und voll auf Technik und einen technokratischen Zugang zur Macht setzen, können sie gar nicht anders, als den Planeten Dune so zu beherrschen, wie sie es eben tun: mit maximaler Gewalt. Der eine Zuschauer mag sich vielleicht an den Faschismus, seine „Gewalt“ und seine Ästhetik erinnert fühlen, man könnte aber auch einen Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika ziehen, die im Vietnamkrieg wirklich dachten, es würde reichen, wenn man einfach genug Vietcong umlegt, damit irgendwann keine mehr nachwachsen (Stichwort: Bodycount). Die Atreiden setzten vor der Ermordung von Herzog Leto Atreides dementsprechend auf etwas, das ein wenig an Barack Obamas Plan des Multilateralismus erinnert, sprich: Die widerspenstigen Fremen sollen nicht ausgerottet, sondern eingebunden und ihre Kampfkraft nutzbar gemacht werden. Wer die USA nicht sonderlich mag, darf auch an das Alte Rom und seine Auxiliartruppen denken. Und mit diesen großen Vergleichen wären wir direkt bei der Geopolitik.

Diese Welt hat mehr als zwei Polkappen

Alexander Dugin hat in den vergangenen Jahren viel Hass und Spott geerntet. Vonseiten des Mainstreams wurde vor dem angeblichen Putin-Einflüsterer gewarnt, von der europäischen Rechten nicht ganz zu Unrecht kritisiert, dass seine Theorien um die „multipolare Weltordnung“ vielleicht auch einfach nur einen russischen Imperialismus legitimieren sollen. Unabhängig von dieser Debatte ist aber durch den Krieg in der Ukraine mehr als offenkundig geworden, dass diese multipolare Ordnung der Welt Gestalt annimmt: Die USA und die Nato verlieren an Einfluss und mit ihnen die Heilsversprechen von Coca-Cola und liberaler Demokratie. Andere Staaten machen sich auf, um subversiv oder offen ihren Platz in der Welt zu beanspruchen. Jedem dieser Staaten – Dugin spricht von Machtpolen – ist die Geschichte eigen, die sie für sich selber erzählen. Jeder Pol hat seinen eigenen Mythos. Nichts macht den Wertewesten wütender, als dass seine Erzählung in weiten Teilen der Welt inzwischen ignoriert wird. Wer das verstanden hat, weiß auch, wieso Russland seinen Bürgern erzählt, in der Ukraine müsse nun entnazifiziert werden. Mythos Großer Vaterländischer Krieg: Part Two.

Dass sich die Wahrheiten gegenseitig widersprechen, erklärt sich von selbst. Zum Glück sind ja nicht alle Bewohner eines solchen Pols so große Zyniker wie wir und nicht jeder durchblickt das globale System mit solch großer Toleranz. Jeder findet die Wahrheit, die zu ihm passt. Das Schöne am westlichen Wahrheitssystem ist, dass das Auseinanderdividieren Teil des Systems selbst ist. Via Individualismus und Freiheit für jedweden Unsinn passen die Wahrheiten der Bürger im zunehmenden Maße nicht mehr zueinander. Angst vor Wohlstandsverlust passt nicht zur Wiederaufrüstungsrhetorik, regionale Bioproduktion nicht zu globalistischen Anywhere-Logik der Biomarkt-Kunden in Stuttgart-West, „Wir haben Platz“ nicht zur Situation in deutschen Innenstädten. Die westliche Wahrheitsdecke hat Löcher. Und die Politiker, sie flicken und flicken, aber es gelingt ihnen nicht, die Löcher zu stopfen. Dabei will man als guter Bürger doch nichts als eine Wahrheit, die alles erklärt. Wir warten auf unseren Muad’Dib.

Neue Wahrheiten braucht das Land

Was in „Dune: Part Two“ als Widersprüche identifiziert wird, das sind keine Widersprüche; es sind nur Anzeichen für die unterschiedlichen Wahrheiten. Man tut Künstlern – und Denis Villeneuve ist einer – Unrecht, wenn man hier auf Zu- oder Unfall spekuliert. Dass ein Fehler in der Produktion dafür verantwortlich sein muss, dass die Filmaussage ambivalent bleibt. Als letzten Beweis für die multipolare Sicht auf „Dune: Part Two“ sei versichert, dass die Widersprüche, unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrheiten sich auch in der Buchvorlage von Frank Herbert finden lassen, der es geschickt versteht, die Geschichte aus Sicht der Atreiden, Harkonnen, Bene Gesserit und Co. fortzuspinnen und jeder Fraktion nachvollziehbares Leben einzuhauchen. Wir können kühl darüberstehen – als Fremdlinge im fremden Land – oder uns für die Seite entscheiden, der wir wirklich angehören.

Denn auch das muss in der multipolaren Weltordnung erlaubt sein: Partei ergreifen, Fanatiker sein. Trotz Widerspruch, trotz False-Flag-Aktion, trotz des Hickhacks, das das „Partei ergreifen“ eben mit sich bringt. Prinzessin Irulan, von der hier leider noch keine Rede war, hat im Buch dazu einen Spruch parat, mit dem wir guten Gewissens schließen können: „Um Größe zu erfahren, muss der Betreffende ein Gefühl für den Mythos entwickeln, dessen Teil er ist. Er muss reflektieren, was auf ihn projiziert wird. Und er muss einen ausgeprägten Sinn für Sarkasmus besitzen, denn dieser löst ihn von dem Glauben an das, was er sich anmaßt. Es ist der Sarkasmus, der es ihm erlaubt, sich in sich selbst zu bewegen. Ohne diese Qualität wird ihn sogar ein flüchtiger Moment von Größe zerstören.“


Volker Zierke, Jahrgang 1992, ist ein junger Autor. Nach Schule und Abitur zog es den gebürtigen Schwaben als Zeitsoldat zur Bundeswehr, bevor er 2015 zur Deutschen Militärzeitschrift wechselte. Seit 2018 ist er als selbständiger Autor, Journalist und Politikberater in Dresden tätig.

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