Das war die FAV-Frühlingsakademie 2023 in Kärnten

Vom 14. bis zum 16. April veranstalteten der FAV Steiermark und das IfS in Kärnten ein Seminar über Geopolitik, bei dem unter anderem Erik Lehnert, Felix Dirsch und Maximilian Krah referierten.

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Das war die FAV-Frühlingsakademie 2023 in Kärnten
Mitte April fand die FAV-IfS-Akademie zum Thema "Geopolitik" in Kärnten statt© FREILICH

Am späten Nachmittag des 14. April begrüßte Heinrich Sickl 40 Teilnehmer zu einem Geopolitikseminar in Kärnten. Dank einer Ü35-Toleranz waren auch zahlreiche ergraute Pensionäre anwesend. Den Veranstaltungsort bezeichnete der Chef des Freiheitlichen Akademikerverbandes Steiermark (FAV) als „Insel der Seligen“. Anders als bei vergleichbaren Akademien in Deutschland bliebe man hier vor den neugierigen Blicken ungebetener Zaungäste verschont.

Danach ergriff Erik Lehnert als Chef des Instituts für Staatspolitik (IfS) das Wort. Er wies darauf hin, dass der Ukrainekrieg die tabuisierte Geopolitik auch in Deutschland und Österreich wieder auf die Tagesordnung gesetzt habe. Geopolitik müsse wieder Bestandteil der politischen Analyse werden, weil eine Lagebeurteilung ohne Einbeziehung geographischer Faktoren immer unvollständig bleiben müsse. Lehnert übergab das Wort an den Politologen und Auftaktredner Felix Dirsch.

Felix Dirsch: Geschichte der Geopolitik

Dirsch bezeichnete Karl Haushofer als Vater der deutschen Geopolitik. Haushofer habe mit seiner Zeitschrift für Geopolitik (1924 –1944) das Ziel verfolgt, die Gebietsverluste Deutschlands durch den Versailler Vertrag zu revidieren. Im „Lebensraum“ des deutschen Volkes müssten staatliche und ethnische Grenzen übereinstimmen. Schützenhilfe erhielt Haushofer von Hans Grimms Bestseller Volk ohne Raum. Carl Schmitt verordnete Deutschland als Hegemon eines europäischen „Großraums“. Seit 1945 gelte Geopolitik in Deutschland als suspekt. Ihren Platz habe die demokratische, von den US-Besatzern verordnete, Politikwissenschaft eingenommen. Als Beispiel diene der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), welcher Deutschlands größte geopolitische Herausforderung in der „Klimapolitik“ erblickte.

Demgegenüber verfolgen Briten und US-Amerikaner bis heute knallhart die Machtinteressen ihrer Länder. Halford Mackinder prägte in The Geographical Pivot of History von 1905 die Theorie vom Herzland. Wer diesen Raum beherrsche, der etwa den Grenzen des damaligen Russlands entsprach, verfüge über den Schlüssel zur Weltherrschaft. Diese Theorien teilen die US-Geopolitologen Zbigniew Brzezinski und George Friedman. Stratfor-Chef Friedman propagiert die Trennung Russlands von Osteuropa durch die Schaffung eines Staatenbündnisses vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Dieses sogenannte Intermarium-Projekt kannte auch schon Karl Haushofer. Er bezeichnete es allerdings als „Teufelsgürtel“.

Prof. Dr. Felix Dirsch

Maximilian Krah: Ist ein Globalismus von rechts möglich?

Nach einer kurzen Pause folgte Vortrag des EU-Abgeordneten Maximilian Krah (AfD). Seiner Ansicht nach stoße die „individualistische Entgrenzung“ des woken Westens im Rest der Welt auf zunehmende Ablehnung. LGBTQ-Predigten gegenüber Ölscheichs oder chinesischen Spitzenpolitikern seien ebenso peinlich wie wirkungslos. 2020 überholten nämlich die BRICS-Staaten erstmals die G7 in der kaufkraftbereinigten weltweiten Wirtschaftsleistung. Von der Türkei bis nach China würden sich die Völker von der woken Verneinung der „kulturell-biologischen Gebundenheit des Menschen“ abwenden. Der Traum vom kleinen Glück ist dank des Seidenstraßen-Projekts inzwischen auch ohne woke Bevormundung erfüllbar. Der Wokismus könne sich in der nichtwestlichen Welt nur noch auf unzufriedene Randgruppen als fünfte Kolonne stützen.

Eine weitere Spielart des westlichen Unipolarismus identifiziert Krah im „Neokonservatismus“. Warum sollten konservative Hindu-Nationalisten oder fundamentale Muslime, fragte Krah in die Runde, dem Neokonservatismus von US-Republikanern, einer polnischen PiS oder einer italienischen Fratelli d'Italia hinterherrennen? Die Händlerfamilie Sassoon verdeutliche dieses Dilemma: Aus dem spanischen Toledo und dem osmanischen Bagdad vertrieben, siedelten die Sassoons ins britisch-indische Bombay über. Mit dem Opiumexport von Indien nach China verdienten sich die Sassoons an dem Elend von Abermillionen Chinesen eine goldene Nase. Welcher konservative Chinese, beendet Krah seinen Vortrag, ließe sich angesichts solcher Tatsachen für einen neokonservativen Unipolarismus erwärmen?

Dr. Maximilian Krah

Johannes Hübner: Zur Lage im Nahen Osten

Am Morgen des zweiten Seminartags, dem 15. April, referierte der FPÖ-Politiker Johannes Hübner über die arabische Welt und ging dabei auf die Situation in den verschiedenen Ländern von Syrien bis Ägypten ein. Die Vereinigten Staaten und Israel hätten das Gesicht des Nahen Ostens in den letzten 40 Jahren nach ihrem geopolitischen Interesse geformt. Bereits im Ersten Golfkrieg hätten die USA im Rahmen der Iran-Contra-Affäre beide Kriegsparteien mit Waffen beliefert. Zweiter Golfkrieg, UN-Sanktionsregime, Irakinvasion und die Unterstützung von kurdischen Separatisten – Ziel dieser Maßnahmen sei stets gewesen, das Entstehen eines mächtigen Gegenspielers zu Israel im Nahen Osten zu verhindern, fasste Hübner zusammen.

Dr. Johannes Hübner

Erik Lehnert: Karl Haushofer-Mythos Geopolitik

Als nächster Redner kam erneut IfS-Leiter Erik Lehnert über den „Vater der deutschen Geopolitik“ zu Wort. Karl Haushofer stehe heute in der Kritik, ein Vordenker der Lebensraumidee von Adolf Hitler gewesen zu sein. Für diese Rolle spreche die Tatsache, dass Rudolf Hess als Haushofer-Student mit Hitler in der Festung Landsberg einsaß als dieser sein Bekenntnisbuch „Mein Kampf“ verfasste. Allerdings finden sich in dem Buch keine positiven Bezugnahmen auf die Geopoltik Haushofers.

Lehnert wies zudem auf die Tatsache hin, dass Haushofer die „Geopolitk“ als Weltanschauung in Konkurrenz zum Nationalsozialismus stehen sah. Haushofer habe stets ein Zusammengehen Deutschlands mit Russland gefordert, um das Machtpotential des „Herzlandes“ im Zuge einer eurasischen Kooperation gegen die Seemächte zur Entfaltung zu bringen. Hitler sei gegenüber solchen pragmatischen Erwägungen blind gewesen. In „Mein Kampf“ forderte er die Niederwerfung des Bolschewismus und eine enge Kooperation mit Großbritannien. Die Verfemung der Geopolitik im deutschsprachigen Raum, resümiert Lehnert, sei vor diesem Hintergrund überzogen und sei vor allem daraus zu erklären, dass die Sieger nach 1945 Deutschland in ihre eigene Geostrategie integrieren wollten – was ihnen auch gelang.

Dr. Erik Lehnert

Walter Gehr: Chinas Griff nach der Macht

Der österreichische Diplomat Walter Gehr beleuchtete, wie sich der Aufstieg Chinas auf dem internationalen Parkett bemerkbar macht. Mit der Inbetriebnahme einer Weltraumstation und der Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes habe China gezeigt, dass es im Bereich der Hochtechnologie mit den Vereinigten Staaten konkurrieren könne. Das Seidenstraßen-Projekt schaffe mit einem Investitionsvolumen von über einer Billionen US-Dollar von Sri Lanka bis zum Hamburger Hafen US-unabhängige Infrastrukturen.

Im Rahmen der „Globalen Sicherheitsinitiative“ habe China 2022 bereits einen großen Erfolg gegen die US-Geopolitik erzielt, indem es eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran erreichte. Auch in der EU könne Chinas Strategie des „divide et impera“ aufgehen. Die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach einer „strategischen Unabhängigkeit“ Europas von den Vereinigten Staaten spiele den chinesischen Interessen geradezu in die Hände. Der Referent plädierte für eine pragmatische österreichische Außenpolitik, die sich an den Interessen der österreichischen Bevölkerung orientieren solle. Hierzu müsse die Alpenrepublik, resümierte der Diplomat, allerdings aus seinem „geopolitischen Dornröschenschlaf“ erwachen und auch für sich selbst eine Strategie gegenüber China überlegen. Gehr referierte ausschließlich als Privatperson und nicht als Sprachrohr des Außenministeriums.

Dimitrios Kisoudis: Multipolarität und Mitteleuropa

Gegen Abend des 15. April begann Dimitrios Kisoudis den vorletzten Seminarvortrag über Deutschlands Rolle in Mitteleuropa. Historisch habe Deutschland aufgrund seiner demografischen und kulturellen Bedeutung stets eine Vermittlerrolle zwischen Ost und West innegehabt, so Kisoudis. Der deutsche Zollverein habe über das Potential verfügt, Europa über die Grenzen des Bismarckreiches hinaus wirtschaftlich zu integrieren und gegen den Einfluss Englands und der Vereinigten Staaten abzuschirmen. Im Ersten Weltkrieg wurde Deutschlands Vorherrschaft über Mitteleuropa zum Kriegsziel. Walther Rathenau und Friedrich Naumann waren die Stichwortgeber für einen deutsch-europäischen Pol in einer multipolaren Weltordnung. Im Zweiten Weltkrieg empfahl Karl Haushofer einen Kontinentalblock von Mitteleuropa über Russland bis Ostasien.

Die von Hofhistorikern der Westbindung wie Heinrich Winkler gepredigte „Sonderwegstheorie“ unterstellt, dass sich Deutschland ab 1945 endlich seiner „undemokratischen“ Vergangenheit entledigt habe und im Westen angekommen sei. Es sei heute klar, wohin dieser Weg Deutschland auf dem „sterbenden Gleis“ des unipolaren Westens führe: Energieunsicherheit durch Sprengung der Nord-Stream-Pipelines und Isolierung durch Polens Drei-Meere-Initiative, welche einen „Keil“ in das Herz Europas getrieben habe. Kisoudis resümiert: Deutschland müsse wieder zu seiner historischen Aufgabe zurückkehren, eine Brücke zwischen Osten und Westen zu sein.

Dimitrios Kisoudis

Dušan Dostanić: Die geopolitische Lage des Balkans

Dušan Dostanić hielt am Morgen des letzten Seminartages, den 16. April, den Abschlussvortrag über die Geopolitik des Balkans. Der serbische Politologe gibt den Interventionen „raumfremder Mächte“ die Schuld an der Instabilität des Balkans (Dostanić betonte die zweite Silbe). Ein Ende der osmanischen Fremdherrschaft über Christen im Balkan habe Großbritannien im Krimkrieg gegen Russland verhindert. Das Bismarckreich habe mit dem Bau der Bagdadbahn demgegenüber eine Integration des Balkans erstrebt. Ganz anders die Vereinigten Staaten: Der US-Geopolitologe Nicholas Spykman habe als Vater der „Containment-Politik“ die Entstehung eines deutsch-russischen Kontinentalblocks mit allen Mitteln zu verhindern gesucht. Zbigniew Brzezinski und Stratfor-Chef George Friedman schlossen sich Spykmans Sichtweise an, dass die Randgebiete des „Herzlandes“ wie der Balkan den Schlüssel zur US-Weltherrschaft bedeuteten.

Die Frage des Balkans, so Dostanić, zeige sich besonders deutlich an der Serbien-Frage. Laut Alexander Dugin liege der Schlüssel zur Kontrolle des Balkans nämlich in der Kontrolle Serbiens. Das serbische Volk habe sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion instinktiv gegen den unipolaren Westen gestellt. Der starke serbische Nationalcharakter zeige sich einerseits an der Autokephalie seiner Kirche und an seinen volksnahen Herrscherdynastien wie dem Haus Karađorđević. Heute sei das kleine Land von „NATO-Protektoraten“ und „Schützlingen des US-Imperialismus“ umzingelt. Dostanić resümiert: Für sein Heimatland wünscht der Politologe keine Unterwerfung unter Russland in Form einer „betrunkenen Brüderlichkeit“, sondern die „nüchterne Vertretung“ seiner eigenen geopolitischen Interessen.

Dr. Dušan Dostanić

Nach dem Abschlussvortrag bedankten sich die Veranstalter, Heinrich Sickl vom FAV und Erik Lehnert vom IfS, bei den Vortragenden und entließen die Teilnehmer in das letzte Drei-Gänge-Menü des dreitätigen Seminars.