Vom Abendland in den Kaukasus – Die fünf Lieblingsbücher von Irmhild Boßdorf

Für viele gilt das Buch immer noch als Allheilmittel für alle Lebenslagen und Gemütszustände. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing sagt: Mehr davon! Deshalb sammelt er für FREILICH in einer Sonderreihe die Lieblingsbücher verschiedener konservativer und rechter Akteure und lässt sie vorstellen. Irmhild Boßdorf, Journalistin und AfD-Kandidatin für die Europawahl 2024, stellt heute für FREILICH fünf besondere Bücher vor.

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29.11.2023
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6 Minuten Lesezeit
Vom Abendland in den Kaukasus – Die fünf Lieblingsbücher von Irmhild Boßdorf
© Irmhild Boßdorf

Julien Gracq – Das Ufer der Syrten

„Jede Nacht stirbt in der Stille der Bibliotheken ein bedeutendes Buch, ohne dass wir es zunächst wissen, denn sein Strahlen erreicht uns noch lange – wie das eines längst erloschenen Sterns“ urteilte Julien Graq einmal. Er selbst hat in seinem 1951 erschienenen Ufer der Syrten die geschichtliche Fatalität eines erstarrten Abendlandes beschworen. Orsenna, eine greisenhafte, würdevolle Stadt, die an Venedig denken lässt, befindet sich seit dreihundert Jahren im Kriegszustand mit der muslimisch-barbarischen Siedlung Farghestan am gegenüberliegenden Ufer des Syrtenmeeres. Unruhe kommt auf in der Hauptstadt, Geflüster, Gerüchte und eine ungesunde Erregung.

Mit provozierenden Kampfhandlungen will der junge Patrizier Aldo die vertrockneten Lebensadern seiner Stadt wieder aufpeitschen. Ein Waffengang scheint unaufhaltsam, die Lust am Untergang lässt die dann folgenden Ereignisse als zwangsläufig erscheinen. Graq, dessen Buch an Jüngers Marmorklippen erinnert, erhielt für dieses Werk 1951 den Prix Goncourt, den er jedoch ausschlug, um weitere Jahrzehnte unbehelligt und daher unter seinem Geburtsnamen Louis Poirier als Gymnasiallehrer zu wirken. Tragisch, dass dieses Werk nur noch als Taschenbuch erhältlich ist: Der 2007 gestorbene Graq hatte sich einer solchen „Banalisierung“ seiner Bücher stets widersetzt.

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Horst Lange – Leuchtkugeln

Verwirrtheit, erlahmende Widerstandskraft und Haltlosigkeit sind auch in Horst Langes Leuchtkugeln ein Thema. Lange, im Dezember 1941 während des Russlandfeldzugs schwer verwundet, schrieb dieses autobiografische Werk während seines Lazarettaufenthalts 1943. Eine Gruppe junger Soldaten wartet schier endlos auf einen Einsatzbefehl. Sie vertreiben sich die Zeit mit erzählen, mit Kartenspiel und sinnlosen Besuchen im benachbarten Dorf, bei denen sie auf die apathisch wirkenden russischen Bauern treffen. Schlamm, Melancholie, Feuchtigkeit und Erdenschwere umgeben sie. Die Leuchtkugeln sind das Zeichen zum Angriff, sie werfen das Licht, in welchem Freund und Feind verwischen und gleichzeitig todgeweiht sind. Ausgerechnet der neu angekommene Sonderling, ein Organist mit dem Namen Hermes, rettet seine Kameraden, indem er sich selbst opfert. Dem Verlag Antaios gebührt das Verdienst, diese Erzählung, nachdem die 1982 in der Edition Maschke bei Hohenheim wiederaufgelegte Version lange vergriffen war, dem Vergessen entrissen zu haben.

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Kurban Said – Ali und Nino

Erheblicher wärmer ist die Atmosphäre bei Ali und Nino, einer im Kaukasus spielenden Liebesgeschichte. Zwar ist die Autorenschaft des 1937 in Wien erschienenen Romans nicht eindeutig geklärt, doch seit der Biografie von Tom Reiss dürfte Kurban Said als Autor feststehen. Said wiederum ist das literarische Alter Ego von Essad Bey, einem herausragenden Journalisten und Biografen, der 1905 in Baku als Lev Nussimbaum geboren wurde und 1922 zum Islam konvertierte. Beys wegweisenden Stalinbiografie und seine fundierte Kommunismuskritik führten sogar zur Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer 1934, aus der er jedoch wieder ausgeschlossen und 1936 sogar mit einem Publikationsverbot belegt wurde. Nur wegen dieses kapriziösen Lebenslaufs wurde zumindest eine Zeitlang ein Teil der Autorenschaft dieses Romans der in Wien lebenden Elfriede von Ehrenfels, die wiederum mit einem zum Islam konvertierten Adligen verheiratet war, zugeschrieben.

Said starb 1942 in Italien. In Ali und Nino, in über 30 Sprachen übersetzt, verliebt sich der in Baku lebende Moslem Ali während der Russischen Revolution in die junge Christin Nino. Die beiden wollen heiraten, Nino bedingt sich aus, keinem Harem angehören und keinen Schleier tragen zu müssen. Doch noch vor der Heirat wird Nino entführt, Ali spürt den Entführer auf, erdolcht ihn und flieht nach Dagestan, wo er Nino wieder trifft und heiratet. Die osmanische Armee wird derweil in Baku von den Bolschewiki besiegt. Ali und Nino kehren auf Umwegen in die Heimat zurück, wo die Geschichte ihr erwartet tragisches Ende findet.

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Ismail Kadaré – Chronik in Stein

Um im Süden zu bleiben: Der Stadt, „die anmutete, als sei sie in einer Winternacht wie ein vorzeitliches Wesen plötzlich im Tal aufgetaucht und habe dann, unter großen Mühen emporklimmend, sich an den Abhang des Berges angeschmiegt“ setzt Ismail Kadaré in seiner Chronik in Stein ein legendäres Denkmal. Gjirokastra, im Süden Albaniens gelegen, ist wohl die steilste Stadt der Welt. Ihre Dächer bestehen aus bloßen Steinplatten, die gleichzeitig den Eingang zum nächsthöher gelegenen Haus bilden. Hunger und Not erlebt die Stadt, Krieg, Besatzung, Mitläufertum, Partisanen und heftige Kämpfe. Und doch, so schildert es Kadaré, strahlt sie Wärme und Geborgenheit aus.

Nicht nur er selbst, sondern auch der eigensinnige kommunistische Diktator Enver Hoxha, der sich zuerst mit Moskau, dann mit Peking überwarf, entstammt ihr. Der 1936 geborene Kadaré hat schon mit dem General der toten Armee, vor allem aber mit Der zerissenene April, einer Geschichte über die in Teilen Albaniens immer noch geltende Blutrache, sein Land einem literarischen Publikum nähergebracht. Vorwürfe, er sei ein Mitläufer des Kommunismus gewesen, kontert er mit dem Hinweis, seine Literatur sei auch eine „Parallelmacht“ gewesen. Nachdem ihm ab 1975 verboten wurde, weiter Romane zu veröffentlichen, erschienen die Chronik aus Stein 1988 als „Novelle“.

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Dimitri Verhulst – Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau

Unglaublich schräg und absolut lesenswert ist Dimitri Verhulst' 2013 erschienene Erzählung Der Nachzügler (in Deutschland unter dem sperrigen Titel Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau erhältlich). Ein altes flämisches Ehepaar verkauft sein Haus, plötzlich dämmert es dem Ehemann, dass er nun mit seiner Frau, die er verabscheut, in einer kleinen Wohnung gemeinsam ausharren muss. Weil er das auf gar keinen Fall will, beschließt er, so zu tun, als sei er dement und kommt in ein Pflegeheim. Als seine Tochter ihn besucht, schwant ihm, nachdem sie ihm alle ihre Seitensprünge und Verfehlungen gebeichtet hat, dass das ihr letzter Besuch gewesen sein dürfte. Ein anderer Mitinsasse erklärt, an der eingerichteten Bushaltestelle sitzend, er müsse sich schon ein bisschen mehr Mühe geben, um wirklich dement zu wirken.

Der 1972 geborene Verhulst hat schon mit der Beschissenheit der Dinge ein großartiges Sittenbild Flanderns geschaffen. Er gilt neben Hugo Claus als einer der wichtigsten Schriftsteller des Landes, dem es in Breughelscher Manier gelingt, detailreich aus dem Vollen zu schöpfen und die bis heute in Flandern existierenden Bruchlinien zwischen einer hochmodernen Dienstleistungsgesellschaft und dem zurückgebliebenen archaischen Bauerntum darzustellen.

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Zur Person:

Irmhild Boßdorf ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin, Autorin bei der Jungen Freiheit und arbeitete zuvor am Haus der Geschichte in Bonn. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Familienpolitik und die Benelux-Staaten. Sie kandidiert für die AfD bei der Europawahl 2024.


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