Tolkien trifft Kartenspiel – Isildurs Erbe und das „Blackwashing“

In einem neuen Ableger des beliebten Kartenspiels „Magic: The Gathering“ sollen erstmals auch Figuren aus der Welt des „Herrn der Ringe“ auftauchen. Vor einigen Tagen überraschte vor allem ein Motiv die Netzgemeinde. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing erklärt, warum die Umgestaltung von Tolkiens Figuren keine künstlerische Freiheit ist.

Kommentar von
9.6.2023
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5 Minuten Lesezeit
Tolkien trifft Kartenspiel – Isildurs Erbe und das „Blackwashing“
Aragorn im Magic-Kartenspiel© Wizard of the Coast

Ein einziges Bild – mehr braucht es in Zeiten der digitalen Globalisierung nicht, um Reaktionen hervorzurufen, die in ihrer Anzahl noch vor wenigen Jahrzehnten als Jahrhundertereignis in die Geschichtsbücher eingegangen wären. Auslöser für den massenhaften emotionalen Ausbruch war ein Werbebild, das auf den sozialen Kanälen der Kartenspielfirma „Magic: The Gathering“ geteilt wurde. „Magic: The Gathering" ist ein rundenbasiertes Kartenspiel in einem Fantasy-Universum, dessen Spielregeln am ehesten denen bekannter Sammelkartenspiele wie „Yu-Gi-Oh!“ oder „Pokémon“ ähneln.

Gleichzeitig handelt es sich um die älteste bis heute erfolgreiche Marke dieses Spielgenres, die vor allem in Nordamerika und Japan über eine generationenübergreifende Fangemeinde verfügt. Der erfolgreichste „Magic“-Spieler ist jedoch der Kölner Kai Budde. Als Profi gewann er zahlreiche Turniere und verdiente auf dem Höhepunkt seiner Karriere rund 300.000 Euro in einem Jahr.

Das Kartenspiel kann sich also durchaus einer gewissen Popularität und einer traditionsreichen Fankultur rühmen, warum also das große Thema? „Magic“ expandiert auch in andere Fantasy-Themen, zuletzt etwa in die Welt von J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“. Dazu hat das Unternehmen auch eigene Karten entworfen, von denen nun ein Entwurf veröffentlicht wurde. Zu sehen ist eine der Hauptfiguren der Bücher und Filme, Aragorn der Waldläufer, der im Laufe der Geschichte sein Schicksal als rechtmäßiger König annimmt und das Volk vereint zum Sieg gegen den dunklen Herrscher Sauron führt. Aufgrund dieser herausragenden Stellung war es klar, dass Aragorn eine eigene Karte bekommen musste, aber es gab etwas, was wohl die wenigsten „Magic“- oder „Herr der Ringe“-Fans erwartet hätten: Der Menschenfürst ist ein tiefschwarzer, afrikanisch aussehender Mann.

Warum immer Tolkien?

Nach der heftigen Kritik an der Besetzung zahlreicher Rollen in der „Herr der Ringe“-Serie „Die Ringe der Macht“, deren Bedeutung und Folgenschwere in der Vergangenheit bereits mehrfach thematisiert wurde, stellt sich die Frage: Warum immer wieder Tolkien? Natürlich sind „vielfältige“ Darsteller in zahlreichen Medienproduktionen an der Tagesordnung, doch scheint es verwunderlich, dass ausgerechnet dieses Franchise immer wieder das Interesse der Multikulti-Ultras weckt. Der „Herr der Ringe“ gehört zu den erfolgreichsten Marken aller Zeiten. Nur wenige Kulturproduktionen dieses Alters können bis heute auf eine derart große internationale Fangemeinde verweisen, die sich von der Popkultur bis hin zu einer eigenen literaturwissenschaftlichen Disziplin erstreckt.

Angesichts der Flut von Filmen, Serien und unzähligen Reboots bekannter Filme wird es immer schwieriger, neue erfolgreiche Marken aufzubauen. Die Rechteinhaber greifen daher immer häufiger auf das so genannte „Branching“ zurück, bei dem versucht wird, die Marke in möglichst vielen Bereichen zu platzieren. Das gigantische Tolkien-Universum bietet sich für diese Strategie geradezu an, bietet es doch genügend Stoff, der immer wieder neu aufgerollt, gekürzt oder als Versatzstücke vermarktet werden kann.

Auch der anhaltende Kulturkampf darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden. Gerade wegen der engen Verbindung Tolkiens mit der westeuropäischen Identität versuchen Linke immer wieder, das weltberühmte Werk für ihre Zwecke auszuschlachten. In diesem Zusammenhang muss sich auch der Filmemacher Peter Jackson den Vorwurf der Mitverantwortung gefallen lassen. Auch wenn die von ihm geschaffene Trilogie bis heute zu den besten Interpretationen des Ausgangsstoffes zählt, werfen Fans und selbst Tolkiens Sohn Christopher dem Neuseeländer bis heute vor, das Gesamtwerk auf einen austauschbaren Actionfilm reduziert zu haben.

Was ist eine Kunstfigur?

Aber wozu die Mühe, wozu dieser Artikel, und warum sollte es nicht einfach egal sein, ob eine Kartenspielfirma eine erfundene Figur schwarz, weiß oder blau macht? Die einfache Antwort lautet: Weil es kein Zufall ist. Die Gestaltung von Aragorn und sicher auch anderer Kartenmotive wurde nicht ausgewürfelt oder dem Praktikanten überlassen. Das Design wurde von einem Team in mehreren Durchgängen immer wieder bestätigt, ohne dass jemand an den entscheidenden Stellen der Arbeitskette eingegriffen hätte. Tolkien beschreibt Aragorn mit grauen Haaren und Augen, der königlichen Abstammung entsprechend hochgewachsen und hellhäutig.

Dies trifft auf alle Menschen des untergegangenen Königreichs Númenor zu, die damit den blonden und hellhäutigen Elben am ähnlichsten waren. Warum also die Abweichung? Da eine offizielle Stellungnahme der Firma und der verantwortlichen Grafiker noch aussteht, kann man nur spekulieren. Das eisige Schweigen lässt jedoch vermuten, dass es sich nicht einfach um künstlerische Freiheit handelt, die entsprechend kommuniziert werden könnte. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass es sich um eine wiederholte Strategie des linken Kulturkampfes handelt, die sich explizit gegen Weiße und ihre Repräsentation richtet.

Diese Entscheidung ist nicht unbedeutend: Eine fiktive Figur wie Aragorn wird in der Literaturwissenschaft oft mit Sherlock Holmes verglichen. Sie existiert zwar nicht persönlich, aber ihre Eigenschaften, Wünsche und Ziele sind nachvollziehbar und lassen dem Leser auch außerhalb der Fiktion viel Raum für Identifikation. Gleichzeitig berührt die Geschichte Motive, in denen die Figur sehr menschlich agiert, und kann so auch zum Vorbild für Handlungen, Einstellungen etc. in der realen Welt werden. Insofern haben die linken Kulturrevolutionäre nicht ganz unrecht, die Identifikation mit Medienfiguren beruht (auch) auf einem ähnlichen Äußeren, nicht umsonst wurde Sportbekleidung bis Anfang der 2020er-Jahre vor allem von sportlichen Jugendlichen vermarktet.

Ist etwas beliebig, nur weil es ausgedacht ist?

Bleibt die Frage nach der Relevanz von Schlagzeilen und Kontroversen für die breite Öffentlichkeit. Wen außer ein paar Kartenspiel-Nerds oder Tolkien-Enthusiasten sollte es interessieren, wenn eine fiktive Figur zugunsten einer kleinen linken Blase umgestaltet wird, wo doch Tolkiens Bücher (hoffentlich) bis in alle Ewigkeit eine klare Wahrheit vermitteln? Hier hilft der Ansatz, den beispielsweise Sebastian Ostritsch in seinem Buch Let's Play oder Game Over. Eine Ethik des Computerspielens im Zusammenhang mit der kulturellen Relevanz von Computerspielen verwendet.

Betrachtet man das Ausgangsmaterial des „Herrn der Ringe“ als relevante Kulturproduktion, so wäre es grob fahrlässig, es nicht anhand ähnlicher Parameter zu reflektieren, wie man es traditionell bei Goethe, Leibniz oder Shakespeare tut. Allein die Bedeutung für die westliche Fantasy-Szene, die Tolkien praktisch begründet hat, legitimiert diesen Status voll und ganz. Wenn man also Literatur, Kunst und Musik nicht generell einen Einfluss auf das Leben vergangener Zeiten abspricht, muss man diesen Maßstab auch an „moderne“ Produktionen anlegen. Da auch diese nicht zufällig in der Welt sind, sondern von ihren Schöpfern bewusst geplante und reflektierte Produkte, kann es nur richtig und gut sein, ihre Wirkung auf ihre Umwelt zu untersuchen.

Auch wenn ein schwarzer Aragorn oder die Darstellung dunkelhäutiger Elben im Kontext von J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“ keine große linke Kulturrevolution darstellen, so sind solche Einbrüche in abendländisches Kulturgut doch mit scharfem Verstand und kritischem Auge zu betrachten. Wie „Magic“-Kartenspieler oder Tolkien-Fans mit dem neuen Produkt umgehen, muss ihnen überlassen bleiben, sie sollten sich aber der Konsequenzen eines großen Verkaufserfolges bewusst sein.


Zur Person:

Mike Gutsing, Jahrgang 1999, hat Geschichte studiert und lebt in Mitteldeutschland. Das besondere Interesse des Korporierten gilt der deutschen Geschichte und Kultur.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.