Kriegsrecht I: Ritterlichkeit versus totaler Krieg

Die Moderne hat den Krieg nachhaltig verändert. Der Historiker Gert Bachmann wirft einen Blick auf die Geschichte – von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg.

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Kriegsrecht I: Ritterlichkeit versus totaler Krieg
Die SMS Enden, ein Kriegsschriff der deutschen Marine.© IMAGO / Arkivi

Sie waren die Erben des Störtebeker. Sie machten die Weltmeere unsicher und durchbrachen die brausenden Wogen, stets Ausschau haltend nach lohnender Beute: die deutschen Kaperkreuzer der kaiserlichen Kriegsmarine. SMS Emden und SMS Seeadler gingen als gefürchtete Handelsstörer exemplarisch in die Geschichte der Seekriegsführung ein. Hand in Hand mit der U-Boot-Flottille sorgten sie dafür, dass die Lebensadern des British Empire einen empfindlichen Blutzoll entrichten mussten.

Der US-amerikanische Marineoffizier und spätere Romanautor Michener ließ eine seiner fiktiven Figuren den Satz sagen: „Wir pflügen ein grausames Feld.“ Wem auf hoher See droht, ein Kriegsgefangener des griechischen Meeresgottes Poseidons zu werden, darf kein gnädiges Schicksal erwarten. Hieraus resultiert das strenge Reglement der „Prisenordnung“. Nachdem ein Schiff mittels Schuss vor den Bug gestoppt wurde, machte sich ein Enterkommando auf, um Ladung und Besatzung unter Augenschein zu nehmen. Die Versenkung erfolgte nach Evakuierung der Besatzung (entweder an Bord oder in Rettungsbooten, je nach Nähe zur nächsten Küste). Hieraus entsprangen erwartbare Gegenmaßnahmen: Konvois und bewaffnete Handelsschiffe. Bordkanonen, unter Deck verborgen, wurden im rechten Moment mittels Hebebühnen in Feuerposition gebracht – übrigens durch die deutsche Kriegsmarine im Weltkrieg darauf erfolgreich adaptiert. Die hieraus resultierenden Verluste der deutschen U-Boot-Flottille führten mitunter zur ersten Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges.

Nach Versenkung der Lusitania und einem drohenden Kriegseintritt der USA ging die kaiserliche Kriegsmarine wieder zur Prisenordnung über. Die zweite Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges war hingegen der strategischen Not geschuldet. Die Ritterlichkeit wurde am Altar des totalen Krieges geopfert. Mit dem Ergebnis eines amerikanischen Kriegseintritts.

Amerika exerziert den großen Krieg vor

„Was soll man von einem Krieg lernen, wo ein paar Tausend Wilde durch den Busch stolpern.“ Diese rhetorische Frage stammt vom preußischen Generalstabschef Helmut von Moltke und bezog sich nicht auf Kolonialkriege in Afrika oder Asien, sondern auf den Sezessionskrieg in den USA zwischen Union und Konföderation – ein fatales Urteil für die deutsche Strategie im Ersten Weltkrieg. Denn die Unionsarmee der Nordstaaten musste zur Kenntnis nehmen, dass eine Niederwerfung der Südstaatenarmee unmöglich ist. Also musste die Zermürbung des Gegners in Angriff genommen werden.

Lange Zeit war es üblich, dass Kriegsgefangene ausgetauscht wurden. Immerhin handelte es sich um Männer in deren Rekrutierung, Ausbildung und Ausrüstung, Zeit, Geld und Energie investiert wurden. Wenn der Ehre genüge getan war, bestand sogar die Möglichkeit des Abzugs unter freiem Geleit mit voller Ausrüstung, aber ohne schwere Waffen. Gegen Ehrenwort konnten sich Offiziere mit Säbel oder Degen im feindlichen Lager frei bewegen. Später wich diese Regelung der Verpflichtung eines Offiziers, jederzeit Fluchtversuche unternehmen zu müssen, um für die Bewachung so viele Mittel und Soldaten des Gegners wie möglich zu binden.

Schwarze Soldaten aus den Kolonien durften lediglich dort zum Einsatz kommen, nicht auf europäischen Kriegsschauplätzen. Mehrmals brachen Kolonialmächte diese Regelung aus der strategischen Not geschuldet. Nachdem schwarze Soldaten der Unionsarmee nicht mit derselben Behandlung im Falle einer Kriegsgefangenschaft rechnen durften, wurde die Gepflogenheit des Austauschs von Gefangenen beendet. Für den Norden war es eine Frage der Mittel, während dem Süden die Rekruten ausgingen. Zusätzlich setzte der Norden unter General Tecumseh Sherman auf eine Kampagne der „verbrannten Erde“. Einen breiten Streifen der Verwüstung hinterlassend rückte seine Armee im Rücken der Virginia-Armee Richtung Georgias Küste vor. Ein betroffener Farmer ritt auf einem Muly in Shermans Lager und beklagte sich. Sherman entgegnete: „Das waren unmöglich meine Männer. Die hätten auch den Muly genommen.“ Der Farmer trat den Heimweg zu Fuß an.

Galt der Durchzug einer Armee, gleich ob feindlich oder eigene, weitgehend als Plage Ägyptens, besserten sich die Voraussetzungen für Zivilisten im 18. Jahrhundert. Je härter das Soldatenleben, desto erträglicher für den Bauern. Landsknechte fürchteten den Hunger, die Langen Kerls die Spießruten. Mit der „Levee en masse“ (erste Form der Wehrpflicht in Frankreich) wurden die Karten wiederum neu geteilt.

Kämpfe zwischen „zivilisierten“ und „unzivilisierten“ Völkern gibt es nicht erst seit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Bereits im Mittelalter war der Einsatz der Armbrust gegen Christen durch die Kirche untersagt. Mit bescheidenem Erfolg. Ebenfalls verboten war die Verwendung von bestimmten Granaten, geschleudert durch Grenadiere, gegen Gegner anderer europäischer Mächte. Diese Granaten waren aus einem Mantel aus Ton oder Glas gefertigt, bei denen die durch Splitter verursachten Wunden besonders schwer heilten.

Die Römer erfinden den totalen Krieg

Die griechische Kriegsführung war gekennzeichnet durch Schlachten, die selten zu einem entscheidenden Ausgang führten. So wurden Frieden geschlossen, deren Brüchigkeit in einer baldigen Wiederaufnahme von Auseinandersetzungen führten.

Rom kannte hingegen weniger Zurückhaltung, zumal es keine ebenbürtigen Gegner gab. Griechische Stadtstaaten teilten Sprache, Mythen und die olympischen Spiele. Römer bevorzugten Griechen als Sklaven für den Hausgebrauch. Kelten, Germanen und andere Barbaren kamen in die Minen, auf die Galeeren, die Latifundien oder ins Kolosseum.

Der Karthago-Frieden stellt das Schicksal totaler Kriegsführung in der Antike dar. Belagerte Städte durften nicht mit Pardon rechnen – von Troja bis zu den napoleonischen Kriegen. Entweder wurden Sklaven oder Hilfswillige benötigt. Die Dauer der erlaubten Plünderungen hing von der Dauer des Widerstandes ab. Erst ab dann wurden Plünderer gehängt. Karthago wiederum wurde völlig vom Erdboden getilgt, um an der Herausforderung Roms Rache zu üben.

Kaperbriefe zur Deeskalation

Umgekehrt verhielt es sich bei Kaperfahrten. Um Kriege durch Piraterie zu vermeiden, wurde eine Linie jenseits der europäischen Hoheitsgewässer gezogen. Von da an galt: Jeder gegen jeden. Ohne Rücksicht auf Friedensschlüsse oder Bündnisse in Europa. Zusätzlich wurden Kaperbriefe ausgegeben. Ohne einen solchen drohte wie bei gewöhnlichen Piraten der Strang.

Wer die Segel streicht, darf auf ausreichend Rum hoffen, bis es zu einem Urteil kommt. Wer mit den Tragflächen wackelt, darf auf genügend Spirituosen im Offizierscasino hoffen. Für die Landkriegsführung gestaltet sich die Sache unkomfortabler: Genießt man doch nicht die Vorteile, die Elemente Wasser und Luft zu bezwingen. Ebenso wie den Feind. Sondern man ist ganz ordinär am Boden der Dinge.