Statt Merkel-Punkkapellen wie die Toten Hosen

Rechts ist der neue Punk

In seinem Kommentar über den Punk-Rock-Sänger John Lydon, besser bekannt als Johnny Rotten, stellt Julian Marius Plutz fest, dass es eigentlich die Rechte ist, die dem Establishment den fetten, gut sichtbaren, punkigen Mittelfinger entgegenstreckt.

Kommentar von
31.1.2023
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4 Minuten Lesezeit
Rechts ist der neue Punk
Julian Marius Plutz

Der inzwischen verstorbene Musikmanager und Modemacher Malcolm McLaren war sich sicher, dass aus John Lydon aka Johnny Rotten einmal eine echte Größe im Punkrock werden würde: „Er kam in meinen Laden mit grünen kurz rasierten Haaren und einem zerrissenen Pink-Floyd-T-Shirt, über das er eigenhändig ‚I Hate‘ gekritzelt hatte. Er konnte überhaupt nicht singen, aber er besaß genug Aggression, um Sänger der Sex Pistols zu werden.“ Und so kam es auch. Ihr kommerzieller Höhepunkt war zweifellos 1977, als sie mit dem Album „Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols“ 76 Wochen den ersten Platz der britischen Charts besetzten. Die deutsche Ausgabe des Rolling Stones Magazin hielt die Platte 2012 gar für das sechstbeste Album aller Zeiten.

Aggression und Provokation sind überhaupt Leitmotive von Johnny Rotten. Politisch kann man den Musiker am einfachsten mit den Worten „gegen das Establishment“ beschreiben. Aufgrund von Liedern wie „Anarchy in the U.K.“ wurde ihm oft das Image eines Anarchisten zugeschrieben, was er jedoch ablehnte. Im Gegenteil: Der anarchistischen Bewegung warf er genau das vor, was er auch der linksliberalen Mittelklasse vorwarf: Uniformität, Doppelmoral und Anachronismus. „Anarchismus ist ein nettes Hobby der Mittelklasse“, sagte er in einem Interview mit CBC Radio 2. 60 Pfund für ein Paar Chuck’s, 35 Pfund für ein Ben Sherman T-Shirt sind für Rotten keine Option und dienten lediglich als Maske, als ein schlechtes Abziehbild eines Punks. 

Konservativ und Punk?

Umso schockierter war die Punk-Szene, die sich als eine linke Bewegung versteht (obwohl die Wahrheit wohl in der Mitte liegt), als sich Rotten zum Casus George Floyd äußerte. Angesprochen auf den Vorfall und die „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich im Zuge zahlreicher Proteste in den USA formierte, antwortete er: „Jeder, den ich kenne, würde sagen, dass das grässlich war. Auf jeden Fall! Das bedeutet aber nicht, dass alle Polizisten schrecklich oder alle Weißen rassistisch sind. Denn alle Leben sind wichtig.“ Letzteres – „all lives matter“ – gilt als Gegenbewegung von „Black Lives Matter“ und wird von vielen Linken als rassistisch abgestempelt.

Auch zu gesellschaftlichen Themen hat Rotten eine klare Meinung: „Ich mag es nicht, wenn Eltern alleinerziehend sind. Das ist hart für die Kinder. Ihnen fehlt beim Aufwachsen etwas. Das Gleiche denke ich über gleichgeschlechtliche Ehen; da fehlt was. Es gibt einen Grund dafür, dass es männlich und weiblich gibt – und für die Entwicklung eines Kindes braucht es beide Seiten“, sagte er 2005 im britischen Sender BBC.

Passt konservativ und Punk zusammen? Gavin McInnes, Gründer des Vice-Magazin bejaht diese These, was der Mann, der als Prototyp des gemeinen Hipsters gilt, auch 2018 im Schweizer SRF deutlich machte: „Ich bin noch immer der Punk, der ich vor 20 Jahren war. Nur, dass meine Zielscheibe nicht mehr die bourgeoisen Spießer aus den Vororten sind, sondern die politisch korrekte linke Elite.“ Der ewige Mythos, Punk sei eine genuin linke Bewegung, wird dem Mainstreamkonsumenten spätestens mit diesen Zitaten deutlich.

In Deutschland haben wir Campino zu bieten

Punk war und ist das stete Widerwort gegenüber den etablierten Kräften. Da der Marsch durch die Institutionen der Linken in vielen westlichen Ländern zu beobachten war, ist es auch kein Wunder, dass sie heute genau das sind, was sie vor 50 Jahren vorgeblich kritisierten: Eine wesentliche Säule der Elite. Ob Universitätsbetrieb, Kultur, Politik oder Rundschau, die Linke hat es in die Spitzen geschafft und dominiert die Themenwahl, das Framing und die politisch korrekte Ausgrenzung. Das muss man neidlos anerkennen.

Und es sollte auch keiner überrascht sein, dass Johnny Rotten den Brexit unterstützte – „Nun, los geht’s. Die Arbeiterklasse hat gesprochen und ich gehöre zu ihnen und halte zu ihnen.“ – und auch Donald Trump: „Er ist die einzige vernünftige Wahl, jetzt, da Biden im Rennen ist – er kann das einfach nicht, das Ruder übernehmen“, sagte er dem Observer.

In Deutschland ist dies undenkbar. Dafür hat dieses Land die Toten Hosen zu bieten. Ihre Liebe zur CDU drückte Frontsänger Campino im Tagesspiegel 2017 so aus: „Für viele Menschen spielt Angela Merkel dabei eine entscheidende Rolle. Man muss anerkennen, dass sie zu ihren Grundsätzen steht, zum Beispiel beim Thema Flüchtlingsobergrenze. In diesem Punkt habe ich Respekt vor ihrem Durchhaltevermögen. Dabei ist sie unglaublichen Anfeindungen ausgesetzt, die niemand verdient hat. Sie als Volksverräterin zu beschimpfen, ist inakzeptabel.“

Der Mittelfinger kommt von rechts

Punk in Deutschland heißt, gefällig gegenüber Regenten zu sein. Und, das darf man nicht vergessen, in einem synodischen Gleichschritt „gegen Rechts“ zu stehen. Substanziell kommt da wenig. Es würde auch die saturierten Hörer, die den Marsch durch die Institutionen im Kleinen mitgemacht haben, verstören. Vom gehassten Staat in den Staatsdienst. Vom Anarchismus in den Bundestag. Und von Sonnenblumen zu Leopard-2-Panzern. Moralisch flexibel geht die Welt unter, Werte kommen und gehen. Aber die Linke bleibt.

Insofern sind Figuren wie Johnny Rotten oder Gavin McInnes, aber auch Alice Weidel, Roger Beckamp oder Eric Zemmour mehr Punk, als Campino, Bela B oder der Grapscher von Feine Sahne Fischfilet. Nicht nur der Sex-Pistols-Sänger hätte das vor zehn oder 20 Jahren nicht gedacht. Doch es ist so: Es ist die Rechte, die dem Establishment den fetten, gut sichtbaren, punkigen Mittelfinger entgegenstreckt.


Zur Person:

Julian Marius Plutz, 1987 geboren, ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Achse des Guten, TheGermanZ und die Jüdische Rundschau.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.