Rammstein, Spacey und andere: Irgendwas bleibt immer hängen

In den letzten Tagen konnten sowohl Till Lindemann als auch US-Schauspieler Kevin Spacey nach ihren #MeToo-Vorwürfen gerichtliche Erfolge verbuchen. Doch ihren Ruf stellt das wohl nicht wieder her.

Julian Schernthaner
Kommentar von
6.8.2023
/
3 Minuten Lesezeit
Rammstein, Spacey und andere: Irgendwas bleibt immer hängen

Demonstranten bei der Kundgebung „Keine Bühne für Rammstein“

© IMAGO / SEPA.Media / FREILICH

Der zweifache Oscar-Preisträger Kevin Spacey erlebte nicht zuletzt dank der Hauptrolle in der Polit-Serie „House of Cards“ ein zweites Karriere-Hoch, das 2017 jäh gebremst wurde. Mehrere Männer beschuldigten ihn im Sog der #MeToo-Bewegung der sexuellen Belästigung. In der letzten Staffel der Erfolgsserie kam sein Charakter Frank Underwood nicht mehr vor, auch große Filmrollen blieben aus.

Spacey zwischen Abbitte und Freispruch

Spacey litt sichtlich an den Anschuldigungen, die Jahrzehnte zurückreichten und Fehlverhalten unter Alkoholeinfluss unterstellten. Durch die Vorwürfe sah er sich sogar genötigt, sich zu seiner vormals geheim gehaltenen Bisexualität zu bekennen. Er entschuldigte sich für Dinge, die er nach eigener Aussage nie getan hatte, doch die Abbitte half nichts: Er blieb ein Ausgestoßener. Die Bilderbuch-Karriere lag in Scherben, niemand wollte an ihm anstreifen.

Nun der Freispruch: Für die Vorwürfe gab's keine Beweise. Spacey will als Stehaufmännchen durchstarten, hofft auf das große Comeback. Aber wie es nunmal mit Vorwürfen zu sexueller Belästigung ist: Das Getuschel wird bleiben. Ist er nun unschuldig oder war er einfach geschickt genug bei der Verschleierung, um aus Mangel an Beweisen freigesprochen zu werden? Wer einmal als Sittenstrolch verfemt war, für den legt keiner mehr eine Hand ins Feuer.

Rammstein und Fans als Bösewichte

Das Urteil fiel am selben Tag, an dem in Wien ein Rammstein-Konzert vor 55.000 Leuten stattfand. Eine Mini-Demo gegen den Auftritt wurde medial aufgebauscht, im Vorfeld wurden neue Vorwürfe lanciert. Der mediale Mainstream belagerte die Fans regelrecht – und geriet dabei in einem Fall auch an die Falschen. Dafür hatte man die gewünschten Schlagzeilen über die vermeintlich „aggressive Stimmung“ und einen Angriff auf ein ORF-Team.

Für das Juste Milieu Anlass, alle Rammstein-Fans pauschal auf Twitter als „Beidl“ zu beschimpfen. Man will, dass der erfolgreichen Rockband jede Bühne versagt wird. Dass die YouTuberin Kayla Shyx nun mit gerichtlichem Bescheid nicht länger behaupten darf, dass Frontmann Till Lindemann weibliche Fans mit KO-Tropfen gefügig mache, darf da nicht weiter stören. Wer einmal mit der „Sexismus“-Keule niedergestreckt wurde, dem glaubt man nicht. Die Dame, die dazu in einem 35-minütigen Video ausholte, löschte daher auch nur die inkriminierten 40 Sekunden ihrer Tirade.

Zwischen Persilschein und Vorverurteilung

Was an den Unterstellungen dran ist, wird sich weisen. Die Frage, ob Frauen gegen ihren Willen betäubt und zu Sex gezwungen wurden, lässt sich in einer Gerichtsverhandlung klären. Trifft die Behauptung zu, ist sie zu verurteilen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Sollte der Sänger sich hingegen lediglich mit Groupies ohne jeden Zwang vergnügt haben, ist es niemandes Sache, egal wie man moralisch dazu steht: Das Rockstar-Leben ist keine Erfindung des Jahres 2023. Jedenfalls sind die Fans der Band mündig genug, die Vorfälle ohne betreutes Denken einzuordnen.

Am Ende ist die Welt auch nicht schwarz-weiß. Es ist möglich – und angesichts manch verstörender Abbildung in seinem Buch wahrscheinlich – dass Lindemann durchaus fragwürdige Fantasien hegt. Die Grenzüberschreitung findet aber erst dann statt, wo er sie nicht mehr nur im „Lyrischen Ich“ verarbeitet. Da helfen keine Vorverurteilung und keine Medien-Kampagne: Vorwürfe werden nicht durch dramatisches Vortragen wahr, sondern erst durch einen allfälligen Wahrheitsbeweis. Dennoch werden sie auch dann nachhängen, wenn sie nur erfunden sind.

Vorwürfe sind schwer einzufangen

Denn das mediale Empörium lebt von der großen Geschichte und nicht vom späteren Dementi. Männer im Rampenlicht sind ein nützliches Ziel, um das Gefasel über „toxische Männlichkeit“ voranzutreiben. Dieses Narrativ braucht seine Bauernopfer: In Rachefeldzügen oder zur Aufmerksamkeitshascherei lanciert man unbelegte oder falsche Unterstellungen. Denn irgendwas bleibt immer hängen: Selbst Johnny Depp ist noch nicht rehabilitiert, obwohl sich die öffentliche Meinung mit Fortdauer des Prozesses gegen seine Ex-Frau zu seinen Gunsten drehte.

Der Vorwurf der häuslichen Gewalt kostete ihn lukrative Rollen – das Geraderücken brachte sie nicht retour. Kein Freispruch, kein zivilrechtlicher Sieg, kein Verstricken der Anschuldiger in Widersprüche stellt den alten Ruf wieder her. Der Sinn der #MeToo-Kampagnen ist nicht Gerechtigkeit, sondern die nachhaltige Zerstörung der Beflegelten. Und daran wird sich wenig ändern, solange der Nachschub an Säuen, die man durchs Dorf treiben kann, gewissen Kreisen – und auch dem Blätterwald – mehr bringt, als bei wirklichen Schweinereien hinzusehen.

Teichtmeister-Causa wird bagatellisiert

So landete kein Passagier von Epsteins Lolita-Express auf der Anklagebank. Und die Vorwürfe gegen Teichtmeister waren mehreren Medien eineinhalb Jahre lang bekannt – sie schützten seine Anonymität. Selbst als er zugab, zigtausende Kinderpornos zu horten, blieb er auf freiem Fuß und konnte sich problemlos in Wiener Nobellokalen herumtreiben. Als langjähriges Liebkind des linksliberalen Kulturbetriebs konnte er mit Samthandschuhen rechnen.

Weil das Volk das nicht hinnahm, beklagte ein Standard-Journalist sogar eine „Hetzjagd“ gegen den pädophilen Mimen. Er sah in allfälligen Vorverurteilungen gar eine Form von Selbstjustiz. Bei den Spaceys und Lindemanns dieser Welt ist es anders: Sie zu opfern, tut dem Feuilleton hierzulande nicht weh. Es freut sich vielmehr, wenn es Splitter im Auge der anderen ansprechen kann, um sich dem Balken im eigenen Auge nicht widmen zu müssen.


Zur Person:

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert. Der Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert leidenschaftlich in seiner ausgiebigen Bibliothek und ist passionierter Teetrinker und Käseliebhaber. Als ehemaliger Wachmann war der Freund harter Klänge schon immer um kein Wort verlegen. Seine Spezialität sind österreichische Innenpolitik sowie schonungsloser gesellschaftlicher Kommentar.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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