ÖRR kann Framing nicht lassen

Der Phantom-Antisemitismus um „Hogwarts Legacy“

In seinem Kommentar kritisiert Julian Marius Plutz die aktuelle Pseudodebatte rund um das neue Hogwarts-Legacy-Spiel und wirft der Autorin Ellen Schmidt vor, sich um unwichtige Themen zu kümmern, während jüdisches Leben aus Deutschland und Europa verschwindet, weil eine zügellose Migration aus judenfeindlichen, islamischen Ländern Existenzen bedroht.

Kommentar von
18.3.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Der Phantom-Antisemitismus um „Hogwarts Legacy“
Julian Marius Plutz

Zeit meines Lebens befasse ich mich mit dem Thema Judenhass. Anders gesagt: Das Thema befasst mich. Wo tritt Antisemitismus auf? Von welchen Gruppen wird er artikuliert? Wie nennt er sich und wie nicht? Da das Wort „Antisemitismus“ eine sehr starke Anschuldigung ist, verwehren sich auch glasklare Judenfeinde gegen den Vorwurf, sie seien Judenfeinde. Der Wiener Soziologe Bernd Marin beschrieb dieses Phänomen in seiner Publikation „Antisemitismus ohne Antisemiten“ bereits vor mehr als 20 Jahre treffend.

Umso vorsichtiger sollte man mit dieser Anschuldigung sein, denn sie kann den sozialen Tod bedeuten. Als Luisa Neubauer Hans Georg Maaßen bei Anne Will als Antisemiten bezeichnete, schwieg die Moderatorin. Sein Vergehen: Er verwendete das Wort „Globalist”, das ein antisemitischer Code sei. Nach dem Motto wäre „Autobahn“ und „Gasheizung“ eine Chiffre für das Dritte Reich. Das „Nazometer“ der ersten Schmidt&Pocher-Sendung lässt grüßen.

Große Nasen und lange Finger

Nun aber hat die Hessenschau ein beeindruckendes Stück herausgebracht. Die Autorin heißt Ellen Schmidt und ist seit 2021 Volontärin beim Hessischen Rundfunk. Die Ausbildung wurde just in diesem Jahr revolutioniert. Erstmals hatten weder Geschäftsleitung noch Intendant Einblick in die 300 Bewerbungsunterlagen. Diese Aufgabe übernahm eine unabhängige Jury, die divers besetzt war. Genauer gesagt: „weiblich, männlich, jünger, älter, queer und hetero, weiß, schwarz und PoC (Person of Colour), mit und ohne Migrationsgeschichte, journalistische Quereinsteiger*innen“. Dann kann ja nichts mehr schief gehen.

Der Erfolg dieses modifizierten Auswahlverfahrens hat sich spätestens in dem Stück „Was an der Antisemitismus-Kritik an 'Hogwarts Legacy' dran ist“ bewahrheitet. In einem Sachtext, der keiner ist, weil er den deskriptiven Raum bereits in der Überschrift verlässt, möchte uns Frau Schmidt nahebringen, wie antisemitisch das Videospiel „Hogwarts Legacy“ sei. Zunächst unterstellt sie der Autorin Rowling „Transfeindlichkeit“, was man erstens anders sehen kann und zweitens im Zusammenhang mit einem Spiel keine Rolle spielt. Es geht hier nur um das Framing. Die Autorin ist böse und deswegen ist das „Harry Potter“-Videospiel auch böse.

Im Fokus von Frau Schmidts Kritik stehen die Kobolde. Diese arbeiten nicht nur bei einer Bank (!!), sondern haben auch noch große Nasen (!!!), lange Finger und – halten Sie sich fest – spitze Nägel. Doch nicht nur das: Einer der Schlawiner entführt auch noch ein Kind! Dass der Davidstern und die vergifteten Brunnen weggelassen wurden, war sicher nur Zufall.

Ein antisemitisches Horn

Doch wie es sich für ein gutes Stück journalistischer Propaganda gehört, hat Frau Schmidt auch eine Expertin parat. Im Text wie im Bewegtbild erkennt man Experten vor allem daran, dass unter dem Bild oder neben dem Namen die Bezeichnung „Experte“ steht. In diesem Fall kommt Leonie Schöler zu Wort. Auf ihrer Webseite www.heeyleoni.de beschreibt sie sich so: „Heey! Ich bin Leonie“. Sie studierte Geschichte und arbeitet als Journalistin und Moderatorin, hauptsächlich für das ZDF und für Funk. „Mein Ziel ist es, Geschichte(n) zu erzählen, Menschen zusammenzubringen und Missstände aufzudecken“. Ferner setzt sie sich auf TikTok gegen Rassismus und Antisemitismus ein. Ihre Arbeit beschreibt sie als „Journalismus mit Witz, Haltung und Diversität”.

Immerhin stimmt das mit dem Witz. Laut Frau Schöler zeige das Spiel Parallelen zur antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten. „Antisemitismus funktioniert häufig so, dass er sehr subtil daherkommt“, ergänzt sie. Das stimmt. Und wenn man gar keinen Antisemitismus feststellt, könnte es sein, dass es sich auch nicht um Antisemitismus handelt. Doch manchmal sind es eben die fiesen Details. Um in dem Spiel voranzukommen, muss man ein Kobold-Artefakt sammeln, das wie ein Schofar, ein „klassisches jüdisches Instrument“, aussieht. Es könnte aber auch einfach nur ein Horn sein. Ein Horn, in das man hineinbläst oder ein Horn, aus dem man schales Bier trinkt.

Die Debatte wird verschoben

Vorläufiger Höhepunkt der Empörung ist aber, dass zur erzählten Geschichte des Videospiels ein Koboldaufstand gehört, der im Jahr 1612 stattgefunden hat. Doch nicht nur das: 1612 ereignete sich im echten Leben das Frankfurter Judenprogrom. Das muss man sich mal vorstellen! 1612 wurde auch Axel Oxenstierna in Schweden durch Gustav II., der auch Adolf hieß, zum Reichskanzler ernannt. Adolf, also, Sie wissen Bescheid! Und wenn Sie dann noch wissen, dass im §1612 BGB der Unterhalt von Kindern geregelt wird, fallen Ihnen die Schuppen von den Haaren. Hier ist etwas ganz Großes im Gange. Test gefällig? Nehmen Sie meinen Nachnamen und tauschen Sie die Buchstaben P-L-U-T-Z durch H-I-T-L-E-R aus. Glauben Sie noch an Zufälle?!

Während jüdisches Leben aus Deutschland und Europa verschwindet, weil eine zügellose Migration aus judenfeindlichen, islamischen Ländern Existenzen bedroht, kümmert sich Ellen Schmidt hinter dem höhenverstellbaren Schreibtisch des Hessischen Rundfunks um die wichtigen Themen. Es gibt „Antisemitismus ohne Antisemiten“. Aber manchmal gibt es schlicht gar keinen Antisemitismus. Und manchmal verschleiern Pseudodebatten um Videospiele die wahren Probleme. Phantom-Antisemitismus vom Feinsten. Vielleicht mag Ellen Schmidt mit Kippa gegen 22 Uhr durch die Frankfurter Innenstadt laufen. Wahrscheinlich würde sie es sein lassen. Ich würde es ihr raten. Da ist eine Runde „Hogwarts Legacy“ weniger gefährlich.


Zur Person:

Julian Marius Plutz, 1987 geboren, ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Achse des Guten, TheGermanZ und die Jüdische Rundschau.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.