David Berger: „Für manches, das ich schrieb, musste ich um Verzeihung bitten“

David Berger ist Theologe und Blogger. Als schwuler Mann kritisiert er offen die katholische Kirche und ihren Umgang mit Homosexualität. Sein Buch „Der heilige Schein“ wurde zum Bestseller. Julian Marius Plutz sprach mit dem Theologen über sein Leben, aber auch darüber, was er von der AfD hält, und warum ihn das Finanzamt gerade mächtig unter Druck setzt.

Interview von
29.4.2023
/
10 Minuten Lesezeit
David Berger: „Für manches, das ich schrieb, musste ich um Verzeihung bitten“
Theologe und Autor David Berger© IMAGO / Müller-Stauffenberg

Julian Marius Plutz: Herr Berger, Stichwort „alternative Medien“ lange Zeit waren Sie Teil des Mainstreams. Lag es schlicht daran, dass es damals Mainstream war, die katholische Kirche zu kritisieren?

David Berger: Auf jeden Fall! Es gab eine Zeit, da saß ich, von Markus Lanz, Anne Will, Spiegel TV und Co in jeder Talkshow. Da nahm ich Stellung im Bezug auf Homosexualität in der katholischen Kirche, so wie es gewünscht war. Als aber der Anschlag auf einen Schwulenclub in Orlando stattfand, sagte ich: „Ich kann nicht die Homophobie in der katholischen Kirche kritisieren, aber zur Homophobie im Islam schweigen“. Ab dem Zeitpunkt war ich der islamophobe Rechtspopulist. Dabei habe ich mich gar nicht großartig verändert.

Ich vermute, Sie waren so lange im Mainstream gern gesehen, weil sie genau das bedient haben, was der Mainstream brauchte: Ein schwuler Mann, der die katholische Kirche kritisiert, weil diese in vielen Fällen schwulenfeindlich agiert. Wenn Sie heute zurückblicken, hätten Sie das nicht wissen können? In dem Zusammenhang fällt mir das böse Wort „Token“ ein.

Bei manchen Dingen, die ich damals geschrieben habe, musste ich um Verzeihung bitten. Vieles war im Eifer des Gefechts. Aber auch Eitelkeit und Selbstsucht spielten eine Rolle. Ich denke an böse Worte gegen Papst Benedikt XVI. Ich denke aber auch an einen ganz furchtbaren Aufsatz in der taz, in dem es darum ging, Homohasser zu verbieten, in Talkshows Gast zu sein. Lange vor der „Cancel Culture“-Debatte habe ich bereits einen solchen Schwachsinn erzählt. Als ich dann gesehen habe, welche Dimensionen die annimmt, habe ich erst gemerkt, dass ich am Anfang mitgezündelt habe, bis ich selbst zum Opfer wurde. Vielleicht hat es das gebraucht, um aufzuwachen.

Was halten Sie in dem Kontext von dem Satz: „Die katholische Kirche mag einfach keine Homosexuellen, daher können sie doch einfach austreten“?

Das ist falsch. Eine Anekdote hierzu, die das widerlegt. Weihnachten vor drei Jahren traf ich in der U-Bahn zufällig den Privatsekretär des Papstes, Monsieur Gänswein. Mein Freund machte ein Foto von uns und ich stellte das auf PP (Philosophia Perennis, Anm. d. Red.). Anschließend gab es in US-amerikanischen Medien eine riesige Aufregung: „Der Sekretär des Papstes empfängt in einer Audienz den Homoaktivisten David Berger.“

Daraufhin nahm Herr Gänswein Stellung und meinte, er wusste gar nicht, dass ich David Berger sei. Aber er hätte ihn trotzdem empfangen, denn es gilt die Devise des katholischen Katechismus, homosexuellen Menschen mit Takt und Respekt zu begegnen. Damit war die Debatte beendet. Monsieur Gänswein gilt als konservativer Theologe, dem Papst Benedikt nahe stand.

Das klingt auch so, dass Sie mit der katholischen Kirche Frieden geschlossen haben.

Ich von meiner Seite aus ja. Inzwischen liegt mehr als ein Jahrzehnt dazwischen. Wenn man meine Biografie ansieht, wird man mir zum Vorwurf machen können, dass Brüche und Veränderungen vorhanden sind. Es gab aber nie einen Hass auf die katholische Kirche. Ich habe mich in der Glaubenswelt dort immer zu Hause gefühlt. Die Zeit, wie ich sie wahrnehme, trägt apokalyptische Züge. Das mag esoterisch oder sektiererisch klingen, so ist jedoch meine Wahrnehmung. In dieser Zeit zählt die Besinnung auf das Wesentliche und auf die großen Ideen, das Wissen um das Heilswirken der Catholica viel mehr, als die Frage, wer welche Praxis im Bett ausübt.

Stichwort Wahrnehmung: Sie sind hier in Deutschland - neben Matthias Matussek - einer der wenigen, die aus einem katholischen Hintergrund heraus die Kirche im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen kritisiert haben. Wie sehen Sie das?

Die Coronazeit war und ist für mich eine traumatische Zeit. Als ich gesehen habe, dass die Deutschen ihre Grundrechte für eine Packung Klopapier verhökerten, war es ganz schwierig, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Das hat mich erschüttert! Was mich aber noch mehr erschüttert hat, war das Mitläufertum der Amtskirchen.

Im vorauseilenden Gehorsam von Köln bis Berlin tauschte man Weihwasser mit Desinfektionsmittel und sagte irgendwann die Messen ganz ab. Das Hängen an den Kirchensteuergeldern war den Herrschaften wichtiger als der Glaube an die eigene Sache, der offensichtlich gar nicht mehr vorhanden ist. Der ur-katholische Ultramontanismus als die "große antitotalitäre Verweigerung" (Martin Mosebach) ist diesen Leuten komplett abhanden gekommen.

Papst Franziskus beklagt in der WELT aggressiven Nationalismus und fordert Solidarität mit Migranten. Ist das die höchste Aufgabe des Papstes solche Forderungen zu stellen?

Generell ist die Verurteilung des Nationalismus etwas, was die katholische Kirche immer gemacht hat. Das wird ihr auch häufig um die Ohren gehauen. Aufgrund des internationalen Charakters der Kirche ist das Ablehnen von Nationalismus nichts Neues, wie auch von Pius XII. während des Nationalsozialismus geschehen.

Ein generelles Verständnis für Migration auch. Aber dies in einer Situation zu sagen, während Italien aufgrund der vielen Küsten ein schweres Los hat, was Migration angeht, scheint mir nicht sehr klug. Auch beim Thema der vermeintlichen Seenotrettung teile ich die Meinung des Papstes nicht. Er mischt sich ja auch häufig in tagespolitische Themen ein. Das passiert dann, wenn er von den abgestimmten und vorgefertigten Reden abweicht. Dann kommt es oft zu intellektuellen Katastrophen.

Also nehmen Sie Abstand zur bisherigen Leistung des Pontifex?

Im Vergleich zu Benedikt ja. Was Papst Franziskus sagt, ist eine Katastrophe. Jedoch hat es kaum Konsequenzen. Die alte Messe zum Beispiel: Diese wollte er weitestgehend verbieten. Aber diese hat sich unabhängig von ihm bereits etabliert. Das sagte mir auch Martin Mosebach, den ich vor einigen Wochen in Rom getroffen habe. Zwar redet der Papst, aber das Glück ist, dass keiner auf ihn hört. Noch nie war ein Papst so unbeliebt, wenn man sich die Umfragen anschaut. Als Theologe ist man doch oft erschüttert, wie diffus und abstrus seine Aussagen häufig sind.

Da Sie gerade Martin Mosebach angesprochen haben, fällt mir das Zitat von ihm ein, das er Jan Fleischhauer für sein Buch „Unter Linken“ geschenkt hat: „Ich bin nicht konservativ. Konservativ klingt zu sehr nach Konserve. Ich bin reaktionär“. Was können Sie mit diesem Satz anfangen?

(lacht) Naja, er setzt provokative Punkte. Ich verstehe, warum er das gesagt hat. Er löst sehr geschickt bestimmte Reaktionen aus, was er sehr gut kann, da er als Autor ein solches Renommee gewonnen hat, dass er sich das erlauben kann. Für mich sind in den letzten Jahren diese ganzen Kategorien nicht sehr aussagekräftig. Man hat gesehen, wie die Konservativen zum Teil die Coronamaßnahmen bejubelt haben, weil endlich der Staat durchgegriffen hat. Andererseits feiern die Grünen den Krieg in der Ukraine. Auf einmal findet ein Broder Annalena Baerbock toll, weil sie Russland den Krieg erklärt.

Sie waren bis 2019 Kurator der AfD nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und sind dann ausgetreten. Warum?

Erika Steinbach trat an mich heran und bat mich, in Hinblick auf meine Kritik am Flügel der AfD zurückhaltender zu sein. Mein Ideal ist unabhängiger Journalismus. Ich habe nie Geld von Parteien angenommen. Und wenn ich jetzt gesagt bekomme, du musst da Rücksicht nehmen, dann trete ich lieber aus der Stiftung aus. Dass es da einige böse Worte gegeben hat, das hätte nicht sein müssen. Inzwischen haben wir uns, Frau Steinbach und ich, wieder versöhnt.

Ihre Kritik galt dem Flügel, also Höcke und Umfeld. Würden Sie heute sagen, die AfD ist nun eine wählbare Partei?

Die AfD ist die einzige wählbare Partei, was soll ich denn sonst wählen? Alle anderen Parteien haben sich so bloß gestellt! Wenn man sich ansieht, wie viele Parteien für die Einführung einer Impfzwang standen, was gegen den Nürnberger Eid verstößt. Für jemanden, der demokratisch und rechtsstaatlich denkt, ist es unmöglich, noch eine dieser anderen Parteien zu wählen.

Sie sind damals von der Stiftung aufgrund des Flügels zurückzutreten. Verstehe ich Sie richtig, dass für Sie der Flügel heute kein Problem mehr darstellt?

Nein. Ich bin aufgrund der Einschränkung meiner persönlichen Pressefreiheit zurückgetreten. Ich kann doch nicht mehr glaubwürdig weiterschreiben, wenn ich permanent unter dem Vorbehalt stehe, dass ich bestimmte Sachen nicht sagen darf, weil ich Mitglied im Kuratorium der Stiftung bin.

Also haben Sie heute keine Kritikpunkte mehr an Herrn Höcke?

Doch, es gibt einzelne Kritikpunkte. Zum Beispiel die Idee, dass man germanische Religionen wieder aufleben lässt. Das sind Dinge, über die man sprechen muss, Themen, bei denen ich Abstand nehmen muss. Doch die Rolle der AfD als grundlegende Opposition ist unverzichtbar. Da muss ich auch in Kauf nehmen, dass es einzelne Leute und Positionen gibt, die nicht meine Meinung vertreten. Sonst könnte ich ja gar nichts wählen. 

Ansonsten wird man zum dumpfen Parteisoldaten, die mit allem einverstanden sind, was Mutti sagt. Das hat man ja bei den ganzen Eunuchen rund um Merkel gesehen! Kaum war sie weg, ist ihr Jens Spahn in den Rücken gefallen. Und was mit Herrn Altmeier ist, weiß ich gar nicht. Wenn er nicht von der Bühne fällt, wird er immer noch von Mutti träumen. Aber der ist ja ein Sonderfall.

Kommen wir zum nächsten Thema: Ihr Blog heißt „Philosophia Perennis“ (PP). Was bedeutet das eigentlich?

Das ist der Fachterminus für die immerwährende Philosophie. Dahinter steht die Idee, dass es neben dem historischen Wandel und den Veränderungen auch etwas Bleibendes gibt, also grundsätzliche Leitmotive in Hinblick auf die Weltanschauung und die Natur des Menschen.

Welche Motive sind das?

Zum Beispiel, wenn sich ein Mensch verliebt, wenn er bestimmte Gefühle hat, wie er denkt und erkennt. Meine Idee war, aus dieser Warte das Zeitgeschehen zu beurteilen. Jedoch ist PP kein philosophischer Blog.

Machen Sie den Blog ganz alleine?

Inzwischen ja, bis auf die Technik. Dies machte lange Zeit eine gute Freundin. Doch das wurde dann zu viel. Wir hatten Cyberangriffe, aber auch technische Probleme, weil der Traffic zu groß wurde. Irgendwann gab ich die technische Betreuung an Profis weiter.

Wie kann man sich einen Cyberangriff vorstellen? Man wacht morgens auf und nichts geht mehr?

Man kann Serverkapazitäten für zwei oder drei Stunden mieten und daraus ganz viele Anfragen an die Website stellen, so dass der Server überlastet wird. Das ist einige Zeit auch bei mir geschehen. Das war die Zeit, als PP mehr als drei Millionen Zugriffe pro Monat hatte, also mehr als die taz. Als das bekannt wurde, gab es mehrere Angriffe. Inzwischen ist die Seite jedoch entsprechend geschützt.

Würden Sie sich als alternativer Journalist beschreiben? Ich finde den Begriff schwierig. So gibt es auch keine alternative Wirtschaftswissenschaft, sondern die Wirtschaftswissenschaft. So gesehen gibt es keine alternativen Journalisten, sondern Journalismus, oder eben kein Journalismus.

Naja, dass es nur „die Wissenschaft“ gibt, da habe ich Zweifel. In der Coronazeit hat man uns die Illusion erweckt, als gäbe es nur eine Meinung. Aber natürlich gibt es innerhalb der Wissenschaft viele unterschiedliche Positionen. So ist das im Journalismus auch. Ich glaube, als Blogger muss ich mich gar nicht einordnen. Dadurch, dass PP ein persönlicher Blog ist, sind die Themen und Meinungen auch auf mich zugeschnitten. Ich finde den Begriff „alternative Medien“ gut, so wie man ihn im Zusammenhang mit dem Begriff „freie Medien“ sieht. Ich habe den Vorteil, dass ich finanziell nicht auf den Blog angewiesen bin.

Zum Schluss noch eine ernsthafte Frage. Wie sehen Sie sich und Ihren Blog in ein paar Jahren?

Ich würde hierzu gerne noch etwas anbringen, das für mich ein entscheidender Punkt ist.

Nur zu.

Wie jeder Blog sammle ich Spenden beziehungsweise Schenkungen, um die Seite am Leben zu halten. Mitten in der Coronazeit bekam ich eine Steuerprüfung. Dann kam der Bescheid, in dem stand, dass die Zuwendungen von drei Jahren nicht als Schenkungen anerkennbar ist, weil der Blog rechtspopulistisch und staatskritisch sei. 

Moment. Das schreibt der Steuerprüfer?

Ja! Ich bekam vom Finanzamt ein Schreiben. In zwei ganzen Seiten lässt sich der Beamte über meinen Blog aus. Er sei „hetzerisch“, betreibe Fake News etc. Daraufhin habe ich mir einen Anwalt genommen. Doch das Finanzamt bleibt bei seiner Position. In den nächsten Wochen oder Monaten werde ich eine Rechnung über drei Jahre bekommen, sogar über Umsatzsteuer.

Und was sagt Ihr Anwalt?

Hier handelt es sich um ein Präzedenzfall. Dieses Vorgehen gab es noch nie. Wenn das Finanzamt Argumente gebracht hätte, dass die Beträge nicht als Schenkung anerkennbar sind, dann hätte ich als Laie gesagt: „Okay, Pech gehabt, dann muss ich eben zahlen“. Aber die Argumente lauten: Der Blog sei „staatskritisch“, ich betreibe „Hetze“, der Blog sei „staatskritisch“. Hinzu kommt, dass mir das Finanzamt verbieten will, diese Sache zu veröffentlichen, was sie gar nicht dürfen.

Unglaublich.

Es zeigt, wie schwer es kritischen Bloggern gemacht wird. Wenn so etwas möglich ist, was kommt als nächstes? Für mich sind das alles Versuche, anzudeuten, dass sie am längeren Hebel sitzen. Und sie können dafür sorgen, dass bei mir die Lichter ausgehen. Wenn inzwischen bei Richtern Hausdurchsuchungen durchgeführt werden, weil sie ein falsches Urteil gefällt haben, dann weiß ich nicht, wann bei mir zum ersten Mal die Polizei vor der Tür steht. Momentan lebe ich von Tag zu Tag, weil ich nicht weiß, was als nächstes passiert.

Meine letzte Frage ist zugegeben etwas albern. Aber es hilft nichts, sie muss raus: Sie tragen einen großen Nachnamen. Es gibt ja einige Bergers. Jörg Berger, den ehemaligen Fußballtrainer, aber auch Helmut Berger. Sehen Sie sich als Helmut Berger oder eher als Jörg Berger.

Den Jörg Berger müsste ich kennen. Aber zu Helmut Berger: Lebt der überhaupt noch? Der war doch immer besoffen.

Gute Frage, ich schau mal nach. (Tippt in die Tastatur) Ja, er lebt noch.

Sehen Sie, wenn man ein Leben lang besoffen ist, dann vergisst einen der Tod. Der hat einen jugendlichen Lover gehabt, was ich auch nicht habe. Also nein. Aber es gibt noch Klaus Berger, der großer Theologe. Wenn ich irgendwann ansatzweise seine intellektuellen Höhen erreiche, bin ich glücklich, um ihre beiden Alternativen zu umgehen.

Ich bedanke mich für das Gespräch!

Gern.


Zur Person:

Dr. David Berger, geboren 1968, ist ein deutscher Blogger, Buchautor und römisch-katholischer Theologe. Von 2013 bis 2015 war Berger Chefredakteur des deutschsprachigen Monatsmagazins Männer für Schwule. Der gebürtige Würzburger saß 2019 für einige Monate im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Berger betreibt das bekannte Blog Philosophia Perennis.