Der Feindbegriff der Linken: Warum aus Gegnern absolute Feinde werden
Feindbilder beeinflussen die Wahrnehmung von Konflikten durch Gemeinschaften und die Ausrichtung ihrer Identität. Der Wandel vom persönlichen Gegner zum anonymen politischen Feind verändert insbesondere die Logik des Handelns.
Vom persönlichen Rivalen zur gesichtslosen Masse: Der Wandel des Feindbegriffs verändert die Regeln. (Symbolbild)
© IMAGO / imagebrokerFeinde und Feindbilder sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Die Nennung des Feindes diente oft als Markierung bzw. als Orientierungssystem. Dadurch, dass man wusste, wer wessen Feind ist, hatte man zumindest in der Antike eine Art Koordinatensystem der intersubjektiven Beziehungen. Dieses Koordinatensystem war oft überlebenswichtig; nicht umsonst findet man diese besagten Koordinaten auch schon bei Vorstellungen oder Titulierungen von Personen in antiken Werken. Dabei handelt es sich meistenteils jedoch um den persönlichen, den internen Feind und nicht den externen und politischen Feind.
Feindbilder als Grundstruktur menschlicher Gemeinschaften
Man begegnet dem internen Feind immer wieder bei nahezu allen Menschheitsgeschichten: Romulus und Remus, Kain und Abel oder – nicht ganz so brutal – Jakob und Esau. Der interne Feind kann auch ein Konkurrent oder ein Nebenbuhler sein, oder mit anderen Worten: Es gibt ein Drittes, um welches sich beide Subjekte streiten. Dieses „Objekt der Begierde“, und sei es die Vorherrschaft in Gremien, ist etwas, das rationalisiert ist. Oft liegt aber eine gemeinsame Feindgeschichte entweder einem internen Feind zugrunde oder wird durch Konkurrenz bestätigt. Auf jeden Fall jedoch ist es nicht zwingend, dass bei internen Feindschaften alles rational abläuft. Der interne Feindbegriff hat zwar möglicherweise rationale Streitpunkte, ist jedoch übersät mit Pathos und Emotionen wie Hass, Neid, aber auch Angst. Eine interne Feindgeschichte lässt sich somit nur schwierig zu einem Frieden bringen, da – wie bereits gesagt – große Emotionen im Spiel waren bzw. sind.
Innere Rivalität und die Macht der Emotionen
Wie sieht es aber mit dem politischen Feind aus? Der politische Feind ist oft nicht individualisiert. Es ist nicht jemand mit dem Namen XY, welcher innerhalb einer persönlichen Feindesgeschichte im Sinne einer Konkurrenz innerhalb eines Streites um ein Objekt der Begierde verstrickt ist. Die Persönlichkeit des politischen Feindes ist oft unbekannt. Es ist z. B. oft der namenlose feindliche Soldat. Generell gilt: Wenn vom politischen Feind gesprochen wird, wurde häufig nur der Plural verwendet. Denn eine Masse lässt sich schneller kategorisieren, abstempeln, dämonisieren und entmenschlichen. Bei einer bekannten Person ist dieses Unterfangen schwierig, denn die Person ist auch anderen Akteuren bekannt, und die Spuren der Handlungen, Eigenschaften und Verhaltensweisen sind durch und durch nachverfolgbar und erforschbar.
Politische Feindschaften wiederum entstehen – so oder so ähnlich würde es einer der größten Historiker des 20. Jahrhunderts sagen, nämlich Koselleck – aus natürlichen Abgrenzungen, sei es „[…] sozial, wirtschaftlich, politisch, religiös oder sonstwie.“ Durch die natürliche Verfestigung der Grenzen entsteht so etwas wie die eigene und die fremde Identität. Gefährlich wird es aber laut Koselleck, wenn der kommunikative Kontakt abbricht. Es ist also sehr interessant festzuhalten, dass erst dort, wo die fremde Gruppierung nicht als Individuum, sei es auch als Repräsentant eines Fremden, mitschwingt, die Gefahr der Eskalation droht – laut Koselleck.
Jedoch hatte der politische Feind zumindest eine lange Zeit einen großen Vorteil: Dadurch, dass er meistenteils nur als Masse angesprochen worden ist, traf ihn die Dämonisierung zumindest für lange Zeit nicht persönlich. Es war also durch und durch möglich, nach einer gewissen Feindesbeziehung, welche sich meistenteils in Kriegen manifestierte, wiederum Frieden zu erzeugen bzw. zu schaffen.
Der politische Feind: Masse, Identität und Eskalation
Ein Theoretiker, der sich mit der Beziehung von Freund und Feind intensiv auseinandersetzte, war der berühmte Staatsrechtler Carl Schmitt. Die hier schon anklingende Unterscheidung von persönlichem Feind (inimicus) und politischem Feind (hostis) wurde von Schmitt bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesehen. Dabei geht es Schmitt in seinem Werk „Der Begriff des Politischen“ um eine Art der Vogel- und Strukturperspektive auf jegliches Politische. Er vermied dabei eine substanzielle Bestimmung, sondern wollte vielmehr durch eine relationale Bestimmung das Beziehungsgeflecht von jeglichem Politischen auf einen gemeinsamen Nenner bringen, und dies sei laut Schmitt die Klassifizierung in Freund und Feind.
Der Begriff des Politischen ist also nicht nur staatlich aufzufassen; vielmehr besitzt das Politische ein Eigenleben, welches sich im Rahmen einer Gradualisierung bzw. Intensivierung bewegt, d. h. etwas wird umso politischer, je mehr es zu Krieg, d. h. zu einer physischen Vernichtung, kommen kann. Politisch ist also nur etwas, wo der Krieg als Möglichkeit mitschlummert bzw. generell als Zustand möglich ist.
Vom Fragment zur Theorie
Dennoch – und da hat Reinhart Mehring, eine Person, die genau wie Dieter Thomä bei Heidegger seine gesamte akademische Karriere im Schatten des Bashings von Carl Schmitt aufgebaut hat, höchstwahrscheinlich Recht – bleibt die Schrift Schmitts „unvollständig“, wenn nicht sogar fragmentarisch. Zwar bleiben sehr viele Fragen offen, dennoch greift die Hauptunterscheidung von persönlichem und politischem, d. h. internem und externem Feind als Grundpfeiler der politischen Ordnung. Das spätere Werk in den 1960er-Jahren, nämlich „Die Theorie des Partisanen“, bestätigt diese streckenweise vorherrschende Beschreibung, indem es eine neue und weitere abgewandelte Beschreibung des Feindbegriffs festlegt; denn die Ausnahme bestätigt die Regel – einer der Hauptgedanken Schmitts in der Politischen Theologie.
Lenins Partisan und der Weg zum absoluten Feind
Diese abgewandelte Beschreibung des Feindbegriffs lässt sich auch als „Der Feindbegriff der Linken oder ihre Feindesbesessenheit“ bezeichnen. Lenin entdeckte den Begriff des Partisanen nämlich für sich neu. In seiner Schrift von 1906, nämlich „ Partisanenkampf“, lässt sich dies eindeutig beobachten. Der eigentliche Partisan, welcher tellurischen – das heißt heimat- und erdgebundenen – Charakter aufwies, wurde internationalisiert und somit zum Heimatlosen. Die anderen Bestimmungen, wie die auf keine Gnade erteilende und auf keine Gnade hoffende Einstellung, sind jedoch geblieben. Schmitt will uns hiermit sagen, dass Lenin eine bewusste Umformung des Feindbegriffs unternahm. Es reichte nicht mehr, den auf Konventionen beruhenden Feindbegriff, welcher immer noch mehr oder weniger mit dem ius belli zusammenhing, abzurufen. Nein, es sollte ein absoluter Feindbegriff sein, ein Feindbegriff ohne jegliche Möglichkeit auf Frieden, ein Feindbegriff, welcher eine Mischung von politischem Feind und persönlichem Feind bedeutete und nur das Schrecklichste zum Vorschein bringen sollte.
Dazu kommt ein weiterer Aspekt, den Carl Schmitt zumindest andeutet und den Hans Blumenberg in seinem Werk „Lebenszeit und Weltzeit“ beschreibt. Es geht um die Verliebtheit der Linken in die Geschichtsphilosophie, in welche ihre Revolution ein für alle Mal als singuläres Ereignis implementiert werden soll. Der Durchschnittslinke ist davon überzeugt, dass seine Taten, seien es auch Gewalttaten, eine große Änderung in der Geschichte, ein großes Neudenken in der Geschichte auslösen würden. Der Linke ist laut seiner eigenen Perspektive in einem Ringen mit der Geschichtsdeutung, in welchem seine Tat als die finale Tat gekrönt wird. Dies ist m. E. auch der Grund für die massive Gewaltbereitschaft, welche linke Gruppierungen mit sich bringen. Sie sind davon überzeugt, dass sie nicht nur ihre eigene Lebenszeit beeinflussen, sondern die Weltzeit. Sie leben in einem Wahn, indem sie die Bedeutung ihrer Taten massiv maximieren, sodass diese Geschichte schreiben sollen – genau wie Fjodor Michailowitsch Dostojewskis Raskolnikow in Schuld und Sühne.





