Volker Zierke

„Früher habe ich viel Tolkien, Brecht, Hesse und Grass gelesen"

Volker Zierke ist ein junger Autor aus Dresden, im Jungeuropa Verlag veröffentlichte er zwei erfolgreiche Romane. FREILICH stellte Volker Fragen zu seiner Motivation und Zielen – worauf können sich Unterstützer bei seinem kommenden Buch freuen?

Interview von
12.1.2023
/
9 Minuten Lesezeit
„Früher habe ich viel Tolkien, Brecht, Hesse und Grass gelesen"
Volker Zierke. © Jungeuropa Verlag.

FREILICH: Moin Volker! Mit Enklave und Ins Blaue gibt es nun zwei erfolgreiche Werke von Dir – Kannst Du uns zu Beginn ein kurzes Fazit zu den letzten zwei bis drei Jahren geben? Wie lebt es sich als „rechter Schriftsteller“?

Volker Zierke: Naja, der Kaffee schmeckt schon wesentlich besser. Natürlich freut man sich persönlich, dass das eigene Geschreibsel irgendeinen Widerhall oder zumindest einen Verleger findet. Ich finde es übrigens interessant, dass die Werke gleich als „erfolgreich“ bezeichnet werden. Ich hoffe, das entscheidende Merkmal hierbei ist nicht, dass die Manuskripte überhaupt gedruckt wurden – denn gedruckt wird dieser Tage viel. Aber, es ist natürlich richtig, dass es auch einige positive Resonanz gab und das freut einen Autor.

Das gibt Sicherheit, da weiterzumachen und weiter zu schreiben und man kann von da aus auch besser Ideen sammeln, wenn man weiß, dass es durchaus Leser für so etwas gibt. Im Rahmen der Veröffentlichung von Ins Blaue habe ich auch erstmals Lesungen durchgeführt, was ebenfalls neues Terrain für mich war; ich möchte da nicht nur vorlesen – das wäre zu einfach – sondern den Zuhörern auch einen Einblick in den Entstehungsprozess und die Ideen hinter den Worten vermitteln. Das Image als „rechter Schriftsteller“ finde ich jedenfalls gut. Vielleicht liegt das alles aber nur an meiner neuen Kaffeemaschine.

Hattest Du schon immer ein Interesse an Prosa? Was hat Dich dazu inspiriert selbst zur Feder zu greifen und gab es Vorübungen, bevor du dein offizielles Erstlingswerk Enklave geschrieben hast?

Ja, ich habe schon immer gelesen und geschrieben. Als Kind begann ich aus dem Fernsehen Geschichten zu übernehmen und in selbst illustrierten und zusammengetackerten Comics und Büchern zu sammeln. Im Jahr 2015 habe ich angefangen, als Redakteur zu arbeiten und habe mir in der Zeit immer wieder nebenbei Gedanken über den Einstieg in das Prosa-Schreiben gemacht, nur hat halt dieser Ansatz gefehlt; der Ansatz, gegen die vermutete Erwartungshaltung potentieller Leser anzuschreiben. Vorher dachte ich immer: Wer will denn sowas lesen? Oder: Das ist doch alles nur geklaut.

Bis ich dann irgendwann 2019 auf einer Hütte in den Schweizer Alpen bei der Lektüre von Christian Krachts Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten bemerkt habe, dass dieser Prozess – das Abkupfern und Sammeln – vollkommen normal ist. Von da aus habe ich dann begonnen, an einer Geschichte zu schreiben, die sich an dem Film „Apocalypse Now“ orientierte, was dann in Enklave mündete. Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten besitzt ja schon Parallelen und ich dachte mir, wenn Kracht das macht, könnte ich das auch. Oder anders: Wenn man etwas zu sagen hat, muss man nicht zwangsläufig das Rad neu erfinden, sondern kann sich an bestehenden Bildern, Archetypen etc. orientieren.

Dazwischen lagen natürlich noch einige Vorstufen; wer etwa Die Kehre-Abonnent der ersten Stunde ist, kann anhand der Artikel von mir dort gut ablesen, wie sich der Schwerpunkt vom objektiven Journalismus über subjektiv-polemische Glossen hin zu eher fiktiven Themen entwickelt hat. Tatsächlich hat mich der Chefredakteur Jonas Schick darin bestärkt, dort mehr Energie zu investieren; fachlich versierte Artikel können ja andere schreiben, die da auch mehr Ahnung von haben. Andere Artikel, die diesen Prozess dokumentieren, finden sich zum Beispiel auf dem Blog bei Jungeuropa oder – auch als Vorstufe zu Ins Blaue interessant – auf dem zweiten Platz des Schreibwettbewerbs des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann. Da fand sich diese ganze Ab-in-die-Alpen-Geschichte ja schon einmal.

Wie sieht der Schreibprozess bei Dir aus? Ziehst Du dich für einige Zeit zurück, zum Beispiel an Orte, die Dich inspirieren und beim Schreiben unterstützen oder machst Du es „nebenbei“?

Ich schreibe grundsätzlich nur, wenn ich Lust dazu habe. Zu Enklave hatte ich ja immer gesagt, dass das wichtigste sei, sich Zeit zu nehmen, hinzusetzen und einfach zu schreiben. Der Schreibprozess bei Ins Blaue war deutlich schwieriger, chaotischer und unorganisierter, was man dem Werk vielleicht anmerkt – und was ich auch gar nicht als schlecht empfinden würde. Es passt halt einfach zum Werk.

Ideen sammle ich grundsätzlich fern von digitalen Geräten. Die meiste Inspiration ziehe ich aus morgendlichen Duschgängen und abendlichen Spaziergängen. Ich bin eben einfach abzulenken, deswegen muss ich mir Freiräume suchen, um mir Gedanken zu machen. Wichtig ist halt, dass die Grundstimmung passt. Guter Kaffee hilft oft.

Welche Autoren haben Dich geprägt? Gibt es ein Werk, das Deiner Meinung nach bedingungslos die Zuschreibung „Leseempfehlung!“ verdient? Darüber hinaus: Welche Bücher dürfen in einem ordentlichen Bücherschrank nicht fehlen?

Früher habe ich viel Tolkien, Brecht, Hesse und Grass gelesen und mich sehr intellektuell dabei gefühlt. Das ist sozusagen das Fundament und dazu kommen dann noch alle Prägungen und Erfahrungen, die man sonst so sammelt. Heavy-Metal-Musik, schwäbisches Neubaugebiet, Bundeswehr und so weiter. Wenn ich jetzt nicht weiß, wie ich etwas literarisch ausdrücken soll, lese ich Christian Kracht. Da irgendwo dazwischen sollte man auch nach den Leseempfehlungen suchen; Krachts Ich werde hier sein im Sonnenschein und Schatten habe ich schon genannt. Da wäre vielleicht noch Demian von Hermann Hesse. Der Herr der Ringe ist Pflichtprogramm. The Snows of Kilimanjaro von Hemingway vielleicht. Das letzte Buch, das ich gelesen habe und das ich von vorne bis hinten als „Leseempfehlung“ bezeichnen würde, war Tellkamps Der Eisvogel. Unbedingt.

Ich war auch immer ein großer Freund des Harald-Schmidt-Exkurs‘ zum Thema „Bücher wegwerfen“. Müsste auf Youtube zu finden sein, es geht darum, dass man eben die Tendenz hat viel zu viele Bücher anzuhäufen, die man im Endeffekt eh nicht liest oder die bei genauerer Betrachtung einfach Schrott sind. So habe ich das lange Zeit auch gehalten, wenig neue Bücher gelesen und meistens immer wieder ältere Bücher zum x-ten Mal durchgekaut. Ich handhabe das im Prinzip immer noch so, auch wenn der Bücherschrank immer größer wird, dank eines fiesen Tauschregals vor meinem bevorzugten Supermarkt.

Irgendein Ossi stellt da seit Wochen regelmäßig Teile seiner NVA-Bibliothek ein und deswegen bin ich neuerdings im Besitz von Büchern von Peter Hacks, Tolstoi und so. Sonst: Keine Ahnung, was man im Regal stehen haben „muss“. Das hängt ja davon ab, was man gut findet. Das Problem ist ja eher, dass viele so unreflektiert lesen. Da fehlt oft das Verständnis, was bestimmte Bücher eben gut macht und da fehlt ein Gespür für die Ideologie, die hinter bestimmten Werken steht. Das lässt sich im Mainstream anhand des Beispiels von Tolkien ganz gut nachvollziehen.

Zurück zu deinen Büchern: Inwiefern sind Deine Romane politisch und sind sie es überhaupt? Nach Enklave hattest Du angekündigt, dass Dein nächster Roman (es wurde Ins Blaue) nicht sonderlich politisch werden soll. Gleichzeitig hast Du vollkommen unpolitische Literaturformen, wie etwa die Popliteratur der 90er-Jahre, im Jungeuropa-Podcast einmal für „tot“ erklärt: die Zukunft gehöre anpolitisierten, von Popliteratur inspirierten Romanen wie man es etwa an Schwarzes Herz von Jasmina Kuhnke auf der Linken, oder Deinen eigenen Romanen auf der Rechten sehen könne. Wie verortet sich Deine Prosa also?

Wie eben gesagt: Es geht immer um die Ideologie und Weltsicht hinter den Werken. Natürlich muss sich jeder Autor darüber Gedanken machen, ob er über politische Themen schreiben will oder nicht. Und gerade die rechte Literatur tendiert dazu, nur über Politik zu schreiben und nie sonderlich subtil, sondern immer in einem affirmativ-propagandistischen Ton. Aber rechtes Schreiben muss sich nicht zwangsläufig mit Politik beschäftigen.

Ich glaube einfach, dass der Erfahrungshorizont vieler junger Rechter, die schreiben könnten, derselbe ist, wie der des durchschnittlichen Normies. Das heißt: Würde man einfach einen Roman auf Basis dieses Erfahrungshorizonts schreiben, könnten den sogar Normies gut finden – das Anpolitisieren kommt erst später. Wenn viele junge Deutsche angesichts des Krieges in der Ukraine Zukunftsängste bekommen und sich das Gefühl einstellt, dieser kalten Geopolitik hilflos ausgeliefert zu sein, dann muss man das literarisch verarbeiten – und eben nicht dadurch, dass man einen Propaganda-Text schreibt, in dem es darum geht, wie geil es wäre, seinem Leben mit einer AK-74 in Kiew einen Sinn geben zu können. Wenn Scharen junger Deutscher wegen Klimawandel und Umweltverschmutzung zu Fridays-for-Future-Demos rennen, dann brauchen wir keine rechte Literatur, in der sich der Protagonist nur darüber auskotzt, wie dumm alle Leute in seiner ökokommunistischen Dystopie sind.

Die eigentlichen Themen liegen doch viel weiter darunter: Was passiert mit Menschen, die in der bundesrepublikanischen Vereinzelungsfamilie aufgewachsen sind? Warum fühlen wir uns fremd, wenn wir sehen, dass der albanische Klassenkamerad einen stärkeren Familienzusammenhalt und mehr Cousins hat als wir Follower auf Instagram? Ich glaube, das sind Themen, die auch Filme wie „Fight Club“ großgemacht haben, weil sie eine Stimmung aufgreifen, die unterschwellig jeder, der in der BRD aufwächst, mit auf den Weg bekommt. Was bedeutet es, „ein Mann“ zu sein, wo alle Stereotype ständig hinterfragt werden? Gegen was lohnt es sich noch zu kämpfen? Warum befindet sich eine Generation in Dauerdepression, obwohl Mama immer gesagt hat, dass man was ganz Besonderes ist und einem alle Wege offenstehen? Gegen was lohnt es sich zu kämpfen und zu rebellieren?

Das ist der Erfahrungsschatz. Vielleicht ist das jetzt ein wenig subjektiv, aber das ist ja erstmal egal. Man muss da als Autor an diese Fundamente ran und daraus seine Geschichten erzählen, wenn man denn will. Das sind ja auch dieselben Gründe, wieso wir rechts geworden sind. Du bist rechts, weil deine Alte mal in der S-Bahn von Arabern angegraben wurde? Ok, dann schreib darüber, aber genau so und nicht aus heutiger “politischer“ Sicht, wo eh jeder weiß, was an Migration gut oder schlecht ist. Jasmina Kuhnke schreibt doch auch nur über das, was sie beschäftigt. Das hat halt nur nichts mit uns zu tun und es interessiert uns auch einen Scheißdreck. Und natürlich interessiert es einen Normie nicht, wenn ein weiterer Rechter irgendwas despektierliches über Ausländer schreibt. Das ist Selbstbespaßung für die eigene Blase.

Wir gehen mal davon aus – und das ist ja die Grundüberzeugung hinter der Idee „Volk“ –, dass es da eine ethnische Masse gibt, die über einen ähnlichen Fundus an Erfahrungen verfügt. Sie haben dieselbe Herkunft, sprechen dieselbe Sprache, die Eltern machen irgendwie alle was ähnliches, man hat dieselben Gedanken und Gefühle, wenn man von der Uni in sein Heimatdorf zurückkommt. Das ist das Volk und die wählen nicht immer dieselbe Partei, aber sie gehören ja trotzdem dazu, oder? Und wenn wir an denen vorbeischreiben, dann erreichen wir halt auch immer nur die eh schon Überzeugten. Und das ist Käse.

Das ist schwierig zu verstehen, glaube ich. Irgendwo wollen wir doch alle dasselbe.

Es wird ja oft davon gesprochen, dass „unsere“ Szene mehr Kultur, bzw. Szenekultur bräuchte. Siehst du da ebenfalls Nachholbedarf? Falls ja, welche Schritte sollte man jetzt unternehmen?

Sagte ich ja. Die Leute sollen mehr schreiben, machen, Videos drehen oder Musik aufnehmen. Aber halt nicht nur, um die eigenen Leute zu bedienen, mit Phrasen, die jeder auswendig kann.

Deine beiden Romane sind vom Setting, vom Ton, von der Atmosphäre und von der Handlung ja doch sehr unterschiedlich. Ist Ins Blaue der Gegenpol zu Enklave, oder gibt es eine Klammer, die beide Geschichten verbindet?

Das ist schwierig. Beide Geschichten sind organisch, unabhängig voneinander entstanden. Trotzdem könnte man die beiden Bücher in einen Gegensatz zueinander stellen; Enklave ist das Männliche, Ins Blaue das Weibliche oder so. Eigentlich wollte ich nach Ins Blaue mit etwas anfangen, dass den Aspekt des „Vaters“ beleuchtet, weil es im Buch zuvor nur um den weibischen Protagonisten und seine Beziehungen zu Frauen, zu seiner Mutter und so weiter ging. Aber eigentlich ist das langweilig und das wesentliche ist mit Enklave schon gesagt. Eine Klammer gibt’s davon abgesehen immer und das ist der Autor.

Zum Schluss eine Frage, die sich jeder Zierke-Leser stellen wird: In welche Richtung könnte Dein nächster Roman gehen? Gibt es schon erste Ideen oder Skizzen?

„Zierke-Leser“ klingt großartig. Man müsste wohl etwas zum Ukrainekrieg machen. Das ist mir im Verlauf des Gesprächs klargeworden. Aber am besten, ohne dagewesen zu sein.

Volker, vielen Dank für das Gespräch!


Volker Zierke, Jahrgang 1992, ist ein junger Autor. Nach Schule und Abitur zog es den gebürtigen Schwaben als Zeitsoldat zur Bundeswehr, bevor er 2015 zur Deutschen Militärzeitschrift wechselte. Seit 2018 ist er als selbständiger Autor, Journalist und Politikberater in Dresden tätig.

Hinweis: Dieses Interview wurde Sommer 2022 erstmalig im Konflikt Magazin veröffentlicht.