Mehr als ein moralinsaurer Trend unter Linken?

In ihrem Kommentar plädiert Marianne Ziegler dafür, dass sich auch Rechtskonservative mit Tierschutz und Veganismus auseinandersetzen sollten und man diese Themen nicht einfach so dem politischen Gegner überlassen sollte.

Kommentar von
3.3.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Mehr als ein moralinsaurer Trend unter Linken?

Tofu

© fireworks, CC0, via Wikimedia Commons

Der Begriff „Veganer“ löst in vielen – vor allem in konservativen Kreisen Verkehrenden – in der Regel unangenehme Assoziationen aus. So denkt man wahrscheinlich unwillkürlich an den typischen, in der Regel im Universitätsbetrieb radikalisierten Linksliberalen, mit bunt gefärbten Haaren und Lastenrad, der sich die Missionierung und sozialistische Umerziehung seiner Mitmenschen zum Lebensziel gesetzt hat.

Neben vermeintlichem Antirassismus und dem Kampf für „Geschlechtergerechtigkeit“ fühlt sich diese Art von Mensch in vielen Fällen auch dem Veganismus verpflichtet. Zunächst einmal stellt dies keine Überraschung dar, denn schließlich reiht sich besagtes Phänomen hervorragend in eine lange Reihe von Themenkomplexen ein, mit denen man seinen Mitmenschen die vermeintliche eigene moralische Überlegenheit demonstrieren kann, was bekanntermaßen ein durchaus typisches Charakteristikum der Lifestyle-Linken ist.

Desaströse Zustände in Massentierhaltungsbetrieben

Es lohnt sich jedoch auch für Rechte und Liberale, oben genannten unangenehmen Verknüpfungen zum Trotz, hinter die Kulissen der Fleisch- Milch- sowie Eierindustrie zu schauen und sich frei von Voreingenommenheit ein Bild darüber zu machen, woher genau die tierischen Produkte stammen, welche die allermeisten von uns tagtäglich konsumieren. Als Empfehlung zu besagter Thematik kann unter anderem die Videoproduktion Dominion genannt werden. Der im Jahr 2018 veröffentlichte Dokumentarfilm zeigt schockierende Aufnahmen, die von Tierrechtsaktivisten, in der Regel mithilfe versteckter Kameras, in konventionellen Massentierhaltungsbetrieben und Schlachthöfen in Australien gefilmt wurden.

Der Film zeigt Standardprozeduren, die in allen westlichen Industrienationen –  mit marginalen Unterschieden –  jeden Tag auf legale Weise praktiziert werden und ist somit auch auf Deutschland übertragbar. Der Film enthüllt desaströse Verhältnisse, die für den durchschnittlichen Bürger schwer erträglich sein dürften: Wenige Tage alte Ferkel, denen zur Vermeidung von Konflikten mit Artgenossen, die in der Regel aus der quälenden Langeweile in den reizarmen Betonhallen entstehen, ohne vorherige Betäubung die Zähne gezogen werden. Sauen, die ihr Dasein in einem von Fäkalien durchtränkten Metallkäfig fristen, der so klein ist, dass sie sich nicht einmal um die eigene Achse drehen können, und deshalb oftmals versehentlich beim Hinlegen ihre Ferkel zerquetschen.

Das Leid der Tiere

Milchkühe, denen bereits wenige Stunden nach der Geburt ihre Kälber entrissen werden, um sie anschließend mehrmals täglich an die Melkmaschine anzuschließen, bis sie nicht selten vor Erschöpfung zusammenbrechen. Bilder, die schwer zu verkraften sind, und die ein Großteil der Menschen in Deutschland nicht kennt – aus gutem Grund. Denn die Industrie der konventionellen Massentierhaltung lebt von Geheimhaltung und die Betreiber tun ihr Möglichstes, notfalls auch vor Gericht, um zu verhindern, dass in ihren Betrieben aufgenommenes Bildmaterial an die Öffentlichkeit dringt.

Bedingt sind die desaströsen Verhältnisse in den Betrieben vor allem durch den gnadenlosen Preiswettbewerb in Deutschlands Supermärkten. Im Grunde genommen ist dies ein logischer Marktmechanismus – vor allem nachvollziehbar vor dem Hintergrund der aktuellen Inflation und Energiekrise, durch welche bei vielen Deutschen der Gürtel ohnehin schon enger als gewöhnlich geschnallt ist. Dass Hackfleisch, welches für unter einem Euro pro 100 Gramm angeboten wird, jedoch kaum unter ethisch vertretbaren Zuständen produziert worden sein kann, ist eine unangenehme Gewissheit, die wahrscheinlich einigen Menschen beim Einkauf im Hinterkopf herumspukt.

Veganismus als moralische Frage

Deshalb versuchen viele ihr Gewissen mit dem Kauf von Produkten zu beruhigen, die als „Bio“ gekennzeichnet sind. Doch auch wer mit der Intention tierleidfreie Produkte kaufen zu wollen mehr Geld für Bio-Produkte investiert, wird bewusst von der Industrie getäuscht, denn Bio-Siegel und Tierwohl-Initiativen sind in den allermeisten Fällen reine Augenwischerei. Betreiber von Massentierhaltungsbetrieben nutzen hier geschickt legale Schlupflöcher und großzügig ausdehnbare Paragraphen in den EU-Verordnungen, um dem Verbraucher eine Freiland-Idylle vorzugaukeln, die jedoch in den allermeisten Fällen nichts mit der Realität zu tun hat. In Wahrheit sind die Verbesserungen für das Tier bestenfalls marginal und oftmals überhaupt nur auf dem Papier vorhanden.

Natürlich gibt es neben den Massentierhaltungsbetrieben auch Bio-Bauernhöfe, deren Betreiber sich um die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Tiere kümmern und ihre Produkte auf eine Weise herstellen, die für die meisten Konsumenten moralisch vertretbar sein dürfte. Die Problematik besteht jedoch darin, dass diese Höfe gerade aufgrund der Konkurrenz mit den Massenbetrieben oft nicht mehr rentabel sind, und die wenigen, die es trotzdem schaffen, ihre Betriebe aufrechtzuerhalten, im Endeffekt das gleiche Bio-Siegel erhalten, wie auch die Massentierhaltungseinrichtungen im Bio-Kostüm, weshalb deren Produkte für den Endverbraucher im Supermarkt leider fast unmöglich zu unterscheiden sind.  

Veganer sind nicht automatisch alternative Spinner

Nun gibt es zwei Möglichkeiten, die grausamen Praktiken der Massentierhaltung zu boykottieren: Entweder man kauft tierische Produkte nur noch bei transparenten, regionalen Bauernhöfen, bei denen man mit eigenen Augen sichergehen kann, dass die Tiere ausreichend Bewegung, Beschäftigung und Freigang erhalten und auch ansonsten einen respektvollen und angemessenen Umgang erfahren.

Dies ist jedoch in der Regel den Gutsituierten vorbehalten, denn tierische Produkte aus regionalen Höfen kosten gerne einmal das Doppelte im Vergleich mit den gängigen Preisen in Supermärkten und Discountern. Ein Preis, der für eine gute und artgerechte Haltung angemessen, für den Durchschnittsbürger oder gerade auch für Geringverdiener, jedoch kaum erschwinglich ist. Und somit bleibt die zweite Möglichkeit: Vegan leben und auf Ersatzprodukte, beispielsweise auf Soja-, oder Getreidebasis umsteigen. Diese sind zwar auch nicht unbedingt kostengünstig, jedoch aufgrund der derzeit wütenden der Inflation nicht mehr signifikant teurer als tierische Vergleichsprodukte.

Eine offene Frage im rechten Lager

Es sollte also im besten Falle vermieden werden, in die Falle zu tappen, jeden Veganer sofort als esoterischen Parallelweltler oder alternativen Spinner zu verurteilen und somit das Thema Tierschutz in seiner Gänze den Linksliberalen zu überlassen, und als Teil des in den westlichen Gesellschaften wütenden Kulturkampfes zwischen den politischen Lagern zu verstehen. Denn schließlich steht wohl kaum etwas sinnbildlich so sehr für die von Konservativen in der Regel mit Missgunst beäugte, automatisierte Orwell-Gesellschaftsform der Postmoderne, in welcher ein übergriffiger Staat jede Individualität vernichtet, und in der es nichts Bedeutsameres gibt als den stumpfen Konsum, wie die konventionelle Massentierhaltung, in der das Tier als bloße Nummer im System zum reinen Zweckmittel entfremdet wird.

Auch Rechtskonservative sollten sich also vor diesen Hintergründen ohne Vorbehalte – und vor allem ohne Vorverurteilungen aus dem eigenen politischen Lager – mit Tierschutz und Veganismus auseinandersetzen können, da diese Themen zu wichtig sind, als dass man sie ohne vorheriges kritisches Hinterfragen dem politischen Gegner überlassen sollte.


Zur Person:

Marianne Ziegler studiert Anglistik und Germanistik an einer rheinischen Universität.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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