Putsch: Militärs als Quereinsteiger

Afrika hat vor kurzem den achten Militärputsch in den letzten drei Jahren erlebt. Der afrikanische Gendarm hat Schwierigkeiten, sich zu arrangieren. Im Gegensatz zu früher. Ein berüchtigtes Beispiel aus Lateinamerika jährt sich zum 50. Und: Wie zwei Hauptmänner eine steile Karriere bis zum Kaiser machten.

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Putsch: Militärs als Quereinsteiger
Augusto Pinochet (re.) mit Ehefrau Maria Lucia (beide CHI) in Madrid© IMAGO / Sven Simon

Pinochet verhindert ein zweites Kuba

11. September 1973. 6.20 Uhr morgens. Präsident Allende nimmt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung erfährt er, dass die Flotte meutert. Nicht wie 1918 im Kieler Hafen, als die Matrosen die Befehle ihrer Offiziere verweigerten und die roten Fahnen der Revolution hissten, sondern im Gegenteil: Der sozialistische Präsident muss zurücktreten.

Nach dem ersten Telefonat an diesem geschichtsträchtigen Morgen greift Allende erneut zum Hörer. Er versucht, den Oberbefehlshaber der chilenischen Streitkräfte zu erreichen. Der ist erst seit Ende August im Amt. Berufen auf Empfehlung seines Vorgängers, General Carlos Prats. Prats' Loyalität zur Verfassung und zum Präsidenten hat ihn das Oberkommando gekostet. Am 22. August spricht das Parlament Allende das Misstrauen aus und fordert den Rücktritt der loyalen Generäle des „Gabinete de Commandantes en Jefe“.

Doch der neue Oberbefehlshaber ist für den Präsidenten nicht erreichbar. Er sitzt in einem Vorort von Santiago de Chile. Dort verlässt sich der preußisch geschulte Offizier auf den Rat von General von Schlieffen: „Ein Generalstabsoffizier braucht nur einen Tisch, eine Landkarte und ein Telefon. Alles drei hat General Augusto Pinochet zur Verfügung, dazu das Heer, die Luftwaffe und die Marine der chilenischen Streitkräfte. Der Putsch schlechthin, der symbolisch für die Zusammenarbeit der USA mit antikommunistischen Militärregierungen im Kalten Krieg steht, hatte begonnen. Dabei hatte es drei Jahre zuvor für die Linke durchaus hoffnungsvoll begonnen. Salvador Allende gewann am 24. Oktober 1970 in einer Stichwahl das Präsidentenamt. Gleichzeitig machte sich der Sozialist gemeinsam mit radikalen und kommunistischen Kräften an die Umsetzung einer kollektivistischen Wirtschaftspolitik.

Kupferbergwerke und Großbanken wurden verstaatlicht. Um deutlich zu machen, woher der neue Wind wehte, hielt sich Fidel Castro Ende 1971 vier Wochen lang in Chile auf. Die Transformation zum sozialistischen Bruderstaat war in vollem Gange. Das kubanische Modell des lateinamerikanischen Sozialismus sollte Pate stehen.

Doch die Reformen schufen zu viele Verlierer. Und die gingen auf die Straße. Zuerst die Bauern, die sich nicht den Kollektiven unterordnen wollten, dann Lastwagenfahrer, Bergarbeiter und Studenten. Lebensmittelknappheit, Rationierung, Straßenschlachten und Ausnahmezustand folgten. Das neu gewählte Parlament übte sich in Obstruktion. Jede Regierungsvorlage wurde ohne Debatte abgelehnt. In diesem Patt zwischen rechter Legislative und linker Exekutive war die Armee der Joker. Und bis zum 11. September 1973 stach dieser Joker nicht.

Um 8 Uhr morgens weiß Allende, dass es mit der Zurückhaltung des Jokers vorbei ist. In einer Radioansprache verkündet die Armee die Errichtung einer Militärregierung. Pinochet gibt sich als Teilnehmer zu erkennen. Kurz darauf erhält Allende, der sich inzwischen im Präsidentenpalast befindet, einen weiteren Anruf. Wenn er zurücktrete, könne er mit seiner Familie unbehelligt ins Exil gehen. Allende lehnt ab.

Um 9.30 Uhr droht das Militär mit der Bombardierung des Palastes. Daraufhin lässt der Präsident das Gebäude räumen. Er bleibt mit einigen Getreuen zurück. Um 11 Uhr hält Allende seine letzte Radioansprache. Sein Durchhalten soll ein symbolisches Zeichen gegen Betrug, Feigheit und Verrat sein.

Dennoch beginnt die Luftwaffe mit britischen Jagdbombern vom Typ Hawker Hunter den Sitz des Staatschefs zu bombardieren. Als die Armee um 14 Uhr den Palast stürmt, befiehlt Allende die Kapitulation. Er selbst begeht im „Saal der Unabhängigkeit“ vor Zeugen Selbstmord. Als Waffe dient ihm eine Kalaschnikow, obwohl die Armee mit deutschen Sturmgewehren ausgerüstet ist. Es war wohl auch ein symbolischer Akt. Danach begann die erste Phase der Säuberungen. Am 11. September werden weitere 2.131 Personen verhaftet. Bis zum Jahresende sind es 13.364 politische Gegner - linke Politiker, Gewerkschafter, Journalisten, die Allende unterstützt hatten.

Als Instrument diente der neu gegründete Geheimdienst DINA („Direccion de Inteligencia Nacional“). Das Kaderpersonal der DINA bestand aus Absolventen der „School of the Americas“, einer amerikanischen Akademie zur Ausbildung für antikommunistische Aktivitäten. 3.197 Menschen wurden getötet, darunter auch Exilanten in den USA und Argentinien. Von den 20.000 Exilanten gingen 2.000 in die DDR. Deren Staatssicherheit fungierte auch als Schleuser für linke Politiker.

Gaddafi: Vom Beduinen zum König der Könige Afrikas

Wesentlich unblutiger verlief der Putsch eines Hauptmanns in Nordafrika. Ja, fast friedlich. Es folgten 42 Jahre Gewaltherrschaft und ein umso blutigeres Ende.

Muammar al-Gaddafi war der Sohn eines armen Beduinen, der als Kamel- und Ziegenhirte arbeitete. Seine Verwandten kämpften immer wieder gegen die italienische Kolonialherrschaft. So erzogen, lag es nahe, dass Gaddafi im antikolonialistischen Kurs des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser ein Vorbild fand.

Trotz Armut war es ihm als begabtem jungen Mann möglich, die Schule abzuschließen und ein Studium zu beginnen. Später wechselte er an die Militärakademie in Bengasi. Laut dem Leiter dieser Institution, dem britischen Oberst Ted Lough, war Gaddafi der schlechteste Kadett und gehörte zu den zwei Prozent, die die Leutnantsprüfung nicht bestanden. Gaddafi hingegen verbreitete die Geschichte, er habe die Prüfung mit Auszeichnung bestanden. Wie dem auch sei, die Amerikaner entdeckten Gaddafis Führungstalent und schickten ihn zur Ausbildung nach Großbritannien.

1966 gründete er nach dem Vorbild Nassers den „Bund freier Offiziere“. Als König Idris den Fehler beging, zur Kur in die Türkei zu reisen, fand er bei seiner Rückkehr die Tore seines Königreichs verschlossen vor. So wie es schon dem letzten etruskischen König von Rom ergangen war.

Womit die Amerikaner wohl nicht gerechnet hatten, was aber im Kalten Krieg häufig vorkam: Der von ihnen Ausgebildete entpuppte sich als Trojanisches Pferd. Gaddafis Revolutionärer Kommandorat gründete die Libysch-Arabische Republik und erklärte Einheit, Freiheit und Sozialismus zu seinen Zielen. Dank der guten Beziehungen des Staatschefs Gaddafi zu Hauptmann Gaddafi erlebte dieser einen beispiellosen Aufstieg zum Oberst, Oberbefehlshaber und in der Folge zum Revolutionsführer und „König der Könige Afrikas“. Ähnlich dem Aufstieg des jungen Revolutionsoffiziers Bonaparte zum Kaiser der Franzosen Napoleon I.

Bokassa: Kaiserreich der Uranminen

Ein Ausspruch Napoleons, wonach jeder Soldat seinen Marschallstab im Tornister trage, wurde auch von einer anderen schillernden Persönlichkeit des schwarzen Kontinents beherzigt. Jean Bedel Bokassa wurde im französischen Äquatorialafrika geboren. Als Mitglied der Forces Françaises Libres diente er im Zweiten Weltkrieg bis zum Sergeant. Während des Indochinakrieges wurde er zum Adjutanten befördert und in die Ehrenlegion aufgenommen. Im Algerienkrieg wurde er zum Leutnant und Hauptmann befördert.

Im unabhängigen Zentralafrika wurde er dank seiner Verwandtschaft mit Präsident David Dacko Oberst und Generalstabschef. Doch Undank ist der Welten Lohn, und am Neujahrstag 1966 übernahm Bokassa selbst das Amt seines Cousins David. Verfassung, Parlament und Parteien wichen einem Revolutionsrat. Als Brigadegeneral, Innen- und Verteidigungsminister in Personalunion regierte Bokassa per Dekret. Auf der Karriereleiter folgten die Stufen Präsident auf Lebenszeit und Feldmarschall. Den Höhepunkt bildete die Krönung zum Kaiser Bokassa I. Für das entsprechende Sanctus stand Papst Paul VI. leider nicht zur Verfügung - obwohl oder weil der Kaiser auch den Titel des 13. Stattdessen musste sich Bokassa mit dem Segen der Waidmännischen Gesellschaft von Präsident Giscard d‘ Estaing begnügen. Bokassas Trumpf waren die Uranvorkommen in seinem Reich.

Nach der Konversion zum Islam und der Rückkehr zum Katholizismus kam es zu Protesten von Schülern und Studenten, die Reformen forderten. Als diese brutal niedergeschlagen wurden, erinnerte sich Frankreich an seinen Vorgänger Docke und landete mit einem Regiment Fallschirmjäger auf dem Flughafen der Hauptstadt.

Bokassa verbrachte einige Jahre im französischen Exil mit einer Hauptmannspension von rund 5.000 Francs. Als ehemaliger Feldmarschall und Kaiser strebte er nach mehr Ruhm im Ruhestand und kehrte in die Zentralafrikanische Republik zurück. Dort wurde er zum Tode verurteilt, die Strafe in Haft umgewandelt und schließlich amnestiert. Bokassa starb 1996 an einem Herzinfarkt. Er hinterließ 18 Frauen und 54 Kinder.