Freilich #36: Ausgebremst!

Deutschland: Bundesregierung weiß vielfach nicht, wen sie sich als „Fachkräfte“ ins Land holt

Hunderttausende Drittstaatsangehörige erhalten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Doch wer tatsächlich einwandert, in welchen Berufen diese Personen arbeiten und ob es sich um qualifizierte Fachkräfte handelt, kann die Bundesregierung vielfach nicht sagen.

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Deutschland: Bundesregierung weiß vielfach nicht, wen sie sich als „Fachkräfte“ ins Land holt

Die Bundesregierung kann vielfach nicht sagen, wer über neue Einwanderungswege tatsächlich als Fachkraft ins Land kommt. (Symbolbild)

© IMAGO / Panama Pictures

Berlin. – Mit der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hat die Bundesregierung den deutschen Arbeitsmarkt für Drittstaatsangehörige weit geöffnet. Das Ziel war es, dem zunehmenden Arbeitskräftemangel zu begegnen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen geht jedoch hervor, dass die Regierung in zentralen Punkten selbst nicht weiß, welche Folgen ihre Reform tatsächlich hat.

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Zwar wurden die Gehaltsschwellen gesenkt, die Zugangsvoraussetzungen erleichtert und neue Aufenthaltstitel geschaffen, doch liegen der Bundesregierung vielfach keine belastbaren Erkenntnisse darüber vor, wer dadurch einwandert, in welchen Berufen diese Menschen arbeiten oder ob sie tatsächlich als Fachkräfte tätig sind.

Blaue Karte EU: Tausende Visa

Ein zentrales Instrument der Reform ist die Absenkung der Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte EU. Zwischen November 2023 und November 2025 wurden fast 24.000 entsprechende Visa erteilt. Insgesamt sind im Ausländerzentralregister über 115.000 Aufenthaltserlaubnisse nach diesem Titel gespeichert.

Ob diese Entwicklung tatsächlich auf die Reform zurückzuführen ist, bleibt jedoch offen. Die Bundesregierung erklärt ausdrücklich, dass sich keine mengenmäßige Kausalität zwischen Gehaltsabsenkung und Anstieg der Aufenthaltstitel feststellen lässt. Eine genauere Analyse nach Herkunftsstaaten, Altersgruppen oder Berufsgruppen? Fehlanzeige.

Wer kommt da eigentlich? Regierung weiß es nicht

Auf die Frage, wie viele Personen durch die gesenkte Gehaltsgrenze erstmals anspruchsberechtigt wurden, lautet die Antwort der Bundesregierung, dass ihr dazu keine Erkenntnisse vorlägen. Eine Segmentierung der neu eingewanderten Erwerbstätigen nach Qualifikation, Branche oder Bundesland sei ebenfalls nicht möglich. Damit bleibt unklar, ob es sich bei den Neuzugängen tatsächlich um hochqualifizierte Fachkräfte handelt oder ob zunehmend Personen ohne entsprechende Qualifikation unter dem Label „Fachkräfteeinwanderung“ in den deutschen Arbeitsmarkt gelangen.

Chancenkarte: Arbeitssuche auf gut Glück

Mit der sogenannten Chancenkarte hat die Bundesregierung im Jahr 2024 ein weiteres Instrument eingeführt. Diese ermöglicht es Drittstaatsangehörigen, zur Arbeitssuche nach Deutschland einzureisen – auch ohne vorherigen Arbeitsvertrag. Die Zahlen zeigen einen stetigen Anstieg: Bis Ende 2025 wurden fast 17.500 Visa ausgestellt. Doch auch hier fehlt die entscheidende Information: Wie viele dieser Personen tatsächlich dauerhaft in eine qualifizierte Beschäftigung wechseln, ist nicht nachvollziehbar. Laut Ausländerzentralregister wechselten mehrere Hundert Personen in einen Erwerbstitel. Die Bundesregierung weist unterdessen darauf hin, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher liegen dürfte, da entsprechende Wechsel statistisch nicht vollständig erfasst werden.

Arbeiten vor Anerkennung

Besonders brisant ist die sogenannte Anerkennungspartnerschaft. Sie ermöglicht es Drittstaatsangehörigen, bereits vor der Anerkennung ihrer Berufsqualifikation nach Deutschland einzureisen und eine Arbeitsstelle anzutreten. Seit Inkrafttreten der Regelung wurden mehr als 1.000 entsprechende Visa erteilt. Wie lange die Anerkennungsverfahren dauern, wie viele nach zwölf Monaten noch laufen oder wie oft Anerkennungen scheitern, ist der Bundesregierung jedoch nicht bekannt. Solche Daten werden weder im Ausländerzentralregister noch bei der Bundesagentur für Arbeit erhoben.

Ein weiteres Schlupfloch ist die sogenannte Erfahrungssäule. Diese ersetzt die formale Anerkennung eines Abschlusses durch eine zweijährige Berufserfahrung. Auch hier wurden Hunderte Visa erteilt. Wie oft Berufserfahrung tatsächlich nicht nachgewiesen werden konnte, bleibt jedoch unbekannt. Eine statistische Erfassung von Ablehnungen findet nicht statt.

Drittstaatsangehörige in Engpassberufen

Ein Blick auf die Gesamtentwicklung ist besonders aufschlussreich: So stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Drittstaatsangehörigen in Engpassberufen innerhalb von gut einem Jahr um mehr als 100.000 auf über 790.000 Personen. Gleichzeitig sank die Zahl deutscher Beschäftigter in diesen Berufen. Die Bundesregierung wertet dies als Beleg dafür, dass Drittstaatsangehörige zunehmend zur Deckung des Fachkräftebedarfs beitragen. Ob diese Personen jedoch tatsächlich dauerhaft qualifiziert tätig sind oder lediglich statistische Lücken füllen, bleibt offen.

Evaluation erst 2027 – Politik im Blindflug

Zwar wurde eine umfassende Evaluation der Reform beauftragt, doch die finalen Ergebnisse werden erst für Herbst 2027 erwartet. Bis dahin steuert die Bundesregierung ihre Einwanderungspolitik weitgehend ohne belastbare Daten. Bereits heute zeigt sich: Die Reform hat den Zuzug zwar massiv erleichtert, doch Kontrolle, Transparenz und belastbare Erkenntnisse bleiben dabei auf der Strecke.

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