Interview mit Norbert Bolz: „Wir müssen gegen den Bullshit, das Geschwätz kämpfen!“

Haben Journalisten eine unstatthafte Nähe zu den Machteliten? Der emeritierte Medienwissenschaftler und Philosoph Norbert Bolz ist ein versierter Kritiker an diesem Zustand. Wir haben mit ihm über den Mainstream und die Alternativen gesprochen.
Interview von
2.8.2021
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8 Minuten Lesezeit

Haben Journalisten eine unstatthafte Nähe zu den Machteliten? Der emeritierte Medienwissenschaftler und Philosoph Norbert Bolz ist ein versierter Kritiker an diesem Zustand. Wir haben mit ihm über den Mainstream und die Alternativen gesprochen und veröffentlichen hier einen Auszug des Interviews. Es ist in der Freilich #5 erschienen.

Freilich: Herr Bolz, in Umfragen landen Journalisten regelmäßig auf den hinteren Plätzen, wenn es um das Vertrauen der Bürger bestimmten Berufsgruppen gegenüber geht. Dieses Schicksal teilen sie sich mit der Berufsgruppe der Politiker. Dabei war der Journalismus früher ein wesentliches Instrument zur Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft, zum Schutz der bürgerlichen Rechte. Kann der Journalismus diese Rolle heute noch erfüllen? Muss er das überhaupt?

Norbert Bolz: Ja, in der Tat wäre das ja die eigentliche Funktion des Journalismus, kritisch, kontrollierend und aufmerksam diejenigen, die unsere Gesellschaft regieren, zu überwachen und in Schach zu halten. Man hat ja oft von der Vierten Gewalt im Staat gesprochen. Aber das nehmen zwischenzeitlich Journalisten immer weniger wahr, weil sie selbst sich gedrängt fühlen, Politik zu machen. Politiker nehmen Einfluss auf die Medien, und die Medien wollen selbst politisch aktiv werden. Vom ursprünglichen Aufklärungsideal haben sie sich sehr weit entfernt.

Freilich: Ein großes Problem in diesem Zusammenhang ist das Thema Pressefreiheit. Man hat oft das Gefühl, dass Journalisten alles erlaubt sei. Und viele setzen Kritik an Medien oder an konkreten Journalisten mit einem Angriff auf die Pressefreiheit gleich. Aber ist die Pressefreiheit im eigentlichen Sinne bei uns denn wirklich in Gefahr?

Nein, die Pressefreiheit ist sicher nicht in Gefahr. So wie überhaupt unsere demokratischen Errungenschaften in Mitteleuropa rein formal betrachtet nirgendwo in Gefahr sind, in der europäischen Union jedenfalls nicht. Es geht aber um etwas anderes. Um Meinungsfreiheit oder demokratische Diskussionskultur. Unser Problem ist die Festsetzung der Medien, ist die Orientierung der Journalisten an anderen Journalisten, sodass wir dieses Mainstreammedienphänomen bekommen haben.

Man hat das Gefühl, man könne alternative Stimmen – jedenfalls in den offiziellen Massenmedien – gar nicht mehr wahrnehmen. Formal ist alles in Ordnung, formal gibt es keinerlei Einschränkungen der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit usw., aber de facto nehmen viele Vertreter der sogenannten Mainstreammedien diese Freiheit gar nicht mehr wahr oder dürfen sie nicht mehr wahrnehmen.

Mir ist natürlich als Außenstehendem auch nicht bekannt, wie die internen Sprachregelungen zustande kommen und wie intern Druck auf Journalisten ausgeübt wird. Aber viel schlimmer scheint mir zu sein, dass die meisten höchst freiwillig Selbstzensur üben, weil sie glauben, eine bestimmte Politik vertreten oder unterstützen zu müssen.

Freilich: Dieses Phänomen, das Sie da ansprechen, ist im Grunde genau das, was auch der US-Medienwissenschaftler Jay Rosen einmal als Merkmal des typisch deutschen Journalismus ausgemacht hat: der Meinungsjournalismus.

Das hängt mit der Geschichte des Journalismus zusammen. Die Deutschen waren schon immer Gesinnungs- bzw. Meinungsjournalisten. Das sind sie durchaus auch in ihrem Selbstverständnis, das muss man ihnen gar nicht kritisch nachweisen, so verstehen sie sich selbst. Heute nennen sie sich dann eben nicht mehr „Gesinnungsjournalisten“, sondern „Haltungsjournalisten“. Aber Haltung ist ja nichts anderes als eine vorgegebene Gesinnung, eine vorgegebene politische Ausrichtung, mit deren Hilfe man dann selektiv vorgeht bei der Verarbeitung von Daten und Fakten.

Es gibt keine „Lügenpresse“, es wird nicht prinzipiell gelogen von Medien. Entscheidend ist vielmehr der Mechanismus der Selektion. Logischerweise kann man nicht alles, was in der Welt passiert, in Worte fassen, melden. Aber bei der Auswahl dessen, was man zeigt, kann man unglaublich Einfluss nehmen und meinungsbildend wirken. Das aktuellste Beispiel, das mir dazu einfällt, ist „Spiegel Online“. Die melden über den Achtjährigen, der im Frankfurter Hauptbahnhof vor die Gleise gestoßen wurde, ein ICE hätte bei der Einfahrt in den Bahnhof den Jungen erfasst. Das klingt dann wie ein Unglück. In Wahrheit weiß natürlich jeder, der sich mit dieser Nachricht beschäftigt hat, dass es sich keineswegs um ein Unglück handelte, sondern um einen Mordanschlag.

Es ist nicht gelogen, wenn man schreibt, ein ICE habe den Jungen bei der Einfahrt in den Bahnhof erfasst. Aber der eigentliche Inhalt und das eigentliche Ereignis werden dabei stillschweigend übergangen. Und das passiert in den letzten Jahren immer häufiger, dass man denkt, man müsste die Menschen in ihrer Weltwahrnehmung steuern und man müsste ihnen Dinge, die sie nicht sinnvoll im Sinne der Politik verarbeiten können, mehr oder minder verheimlichen.

Freilich: Sie sagen, es gebe die „Lügenpresse“ nicht. Man könnte dem natürlich entgegnen, dass der Fall des „Spiegel“-Journalisten Claas Relotius gezeigt habe, dass durchaus hinzugedichtet wird.

Das ist zunächst richtig, aber der Fall ist vollkommen untypisch. Typisch am Fall Relotius ist nur die Art und Weise, wie der „Spiegel“ damit umgegangen ist. Also das, was der „Spiegel“ daraus gemacht hat, wie furchtlos sie jetzt aufräumen und nach der Wahrheit fahnden. Aber Relotius ist einer dieser Fälle, wie es sie schon immer gab. Geschichten wurden schon immer frei erfunden. Denken Sie etwa an die Hitler-Tagebücher zurück, oder Tom Kummers gefälschte Interviews in Hollywood. Das sind schlichte Fälschungen und Lügen.

Aber wissen Sie, Lügen sind immer harmlos. Es stimmt wirklich, Lügen haben kurze Beine, und irgendwann werden sie aufgedeckt und damit ist dann das ganze Organ gewissermaßen delegitimiert. Deshalb lügt man nicht, sondern man selektiert, man wählt aus, man überlegt, wie man etwas – ohne zu lügen und zu verfälschen – der Öffentlichkeit präsentieren könnte, damit es mit einer bestimmten Politik harmoniert. Und das ist genau das, was vielen Menschen seit einigen Jahren außerordentlich auf die Nerven geht und was zu einem enormen Misstrauen gegenüber den Mainstreammedien geführt hat.

Freilich: Ein Begriff, der gerade während des US-Präsidentschaftswahlkampfs geprägt wurde, ist jener der „alternativen Fakten“. Ist das etwas, das man nur „rechtspopulistischen“ Medien vorwerfen kann, oder ist das ein Phänomen, das durchaus auch Allgemeingültigkeit besitzt?

Das beschreibt genau das, was ich meine. Dabei darf man aber das Grundproblem nicht vergessen: Selektion ist unvermeidlich. Und man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, es gebe so etwas wie objektive Berichterstattung. Jeder hat seine Lieblingszeitung. Ich würde sagen, die „FAZ“ oder die „Welt“ berichten meistens wirklich sehr seriös und solide. Da habe ich großes Vertrauen dazu. Aber das ist eben nur ein durch Jahre hindurch festgehaltenes Vorurteil. Viele halten umgekehrt das, was die „Welt“ schreibt, für tendenziös, und meinen, das, was in der „Süddeutschen“ steht, sei die Wahrheit.

Sie sehen also: Die Selektion ist unvermeidlich. Objektive Berichterstattung ist kaum erreichbar. Aber entscheidend ist tatsächlich, wenn Journalisten schon gar kein Interesse mehr daran haben, sich wenigstens an diesem Ideal der objektiven Berichterstattung zu orientieren, sondern von vornherein glauben, sie müssten als Oberlehrer der Nation auftreten, gerade sie müssten die Menschen  erziehen, weil sie unmündig seien. Und dieser Eindruck drängt sich einem Außenstehenden in den letzten Jahren auf.

Freilich: Ein anderes Phänomen, das mir besonders eindrücklich im Kopf geblieben ist, waren die „Hetzjagden“ in Chemnitz. Recherchen von freien Medien und Blogs haben gezeigt, dass es dafür eigentlich gar keinen Beleg gibt …

Richtig. Ganz genau.

Freilich: Trotzdem hält sich diese vermeintliche Tatsache bis heute hartnäckig. Sie wird in der politischen Diskussion heute nicht einmal mehr in Zweifel gezogen, obwohl sogar die Lokalpresse im Nachhinein feststellte, dass es derartige Vorkommnisse nicht gegeben habe.

Man kann dieses Thema auch nicht mehr auf die Tagesordnung bringen. Zu viele Schicksale sind damit verknüpft, vor allem das der Bundeskanzlerin, die sich ja sehr deutlich für diese Darstellung ausgesprochen hat und – umgekehrt – auch das traurige Schicksal von  Hans-Georg Maaßen, der ja genau diesen Missstand korrigieren oder zumindest Zweifel anbringen wollte und dafür einen hohen Preis zahlen musste.

Gerade bei solchen Entscheidungen, die, wenn Sie so wollen, irreversibel sind, gibt es bei den Mainstreammedien natürlich keinerlei Interesse, weiter aufzuklären. Gerade weil man denkt, Fotos: /Shutterstock.com Das freie, bisher wenig regulierte Medium Internet wird zur Bedrohung. selbst wenn es nicht stimmt – die Linie ist richtig. Und im „Kampf gegen rechts“ kann man auch mal Fünfe gerade sein lassen. Das ist die Haltung, die dahintersteht, und die meisten Journalisten teilen sie. Und Politiker natürlich auch.

Freilich: Man könnte also auch den Spieß umdrehen und sagen, dass eigentlich gerade daraus diese ominöse Gefahr für die Demokratie und die freie Meinungsäußerung resultiere?

Auf jeden Fall. Ich sehe auch gerade darin die größte Gefahr für unsere Demokratie. Ich will nicht dramatisieren. Ich würde also nicht von einer Gefahr sprechen. Aber dieses sich immer weiter verbreitende Unbehagen in unserer demokratischen Kultur wurzelt eben darin, dass Gesinnung, Moralismus und auch die korrekte politische Ausrichtung so ultimativ gefordert werden von jedem, der irgendeinen Diskussionsbeitrag leisten will, dass man mindestens mit Isolation bestraft wird, wenn man diesen Vorgaben nicht folgt.

Und Isolation ist eine sehr, sehr harte Strafe. Sie müssen nicht ins Gefängnis für das, was Sie abweichend meinen, aber Sie sind dann ein Outlaw. Sie gehören nicht mehr zur guten Gesellschaft, und wahrscheinlich verlieren Sie dann auch einige lukrative Aufträge, die Sie sonst vielleicht bekommen hätten.

Es geht ja nur darum, dass alle spüren, so insgeheim spüren, dass man nicht mehr alles sagen darf, was man denkt. Das ist die wahre Gefahr, diese Timidität, die Ängstlichkeit des normalen Bürgers, der ganz genau weiß, dass es Sprachregelungen gibt, dass man gewisse Stereotype politisch vertreten muss, um nicht in die „Nazi-Ecke“ gestellt zu werden. Das weiß man, das wissen mittlerweile alle, und genau da sehe ich das eigentliche Problem und die Gefahr, dass es gar nicht mehr zu einer offenen Diskussion über die großen Fragen unserer Zeit kommen kann.

Das zeigt sich auch bei vermeintlich harmlosen Beispielen wie dem Brexit. Selbst bei einem Thema, zu dem wir eigentlich eine gewisse Entfernung haben müssten, ist es nahezu unmöglich, für den Brexit zu argumentieren. Da gilt man als verrückt, als wahnsinnig, als jemand, der nicht rechnen kann oder was auch immer. Allein zu versuchen, auch nur theoretisch die Position aller Briten zu durchdenken, warum sie für den Brexit gestimmt haben, schon das gilt als „ewiggestrig“, verblendet oder dumm, d. h. man hat eigentlich keine Möglichkeit, Derartiges zu diskutieren. Das gilt mittlerweile für eine Fülle von wichtigen Themen, denken Sie an Putin oder an Trump. Überall da, wo es wirklich heiß wird, wo es wichtig wird, gibt es  Sprachregelungen und politische Vorgaben, die leider Gottes gerade von den Medien sehr hartnäckig wiederholt werden.

Freilich: Haben Sie den Eindruck, dass das auch damit zu tun haben könnte, dass ein Großteil der Journalisten eben durch die – mehrheitlich  links dominierten – deutschen Universitäten geprägt sind?

Mit Sicherheit. Das gehört auch zum Marsch durch die Institutionen. Der gesamte gesellschaftlich-politische Diskurs wurde von den 68ern umgesteuert und erreicht gerade jetzt alle möglichen Institutionen oder hat sie längst erreicht. Was Sie über die Universitäten sagen: Da muss ich Ihnen zu einhundert Prozent zustimmen. So ist es vor allem in den Geisteswissenschaften. Journalisten kommen ja in der Regel aus den Geisteswissenschaften und sind eigentlich verloren, nicht mehr zu retten, jedenfalls bei uns in Deutschland.

An den geisteswissenschaftlichen Fakultäten wird entweder „Bullshit“ produziert, oder man produziert eine knallharte Ideologie, die beim Antikolonialismus beginnt und bei Gender-Mainstreaming endet. Und das alles in einer  Unduldsamkeit, die der Idee der Universität Hohn spricht. Das müsste ja doch der Ort sein, wo man frei diskutieren kann und frei seine Meinung austauschen kann, wenn Sie so wollen: ein befriedeter Ort, der herausgenommen ist aus der Hektik und aus dem Kampf des Alltags. Aber nirgendwo wird heute – im intellektuellen Sinne – härter gekämpft und brutaler zugeschlagen als an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten deutscher Universitäten.

Dieses Interview ist in FREILICH #5 erschienen. Alle FREILICH-Ausgaben zum Bestellen finden Sie HIER.