Die Opferung des deutschen Volkes

Dass deutsche Interessen in der politischen Ausrichtung der Bundesregierung keine wirkliche Rolle spielen, ist nicht erst seit dem Ukrainekrieg bekannt. Europäische Lösungen, internationale Wertegemeinschaft, Resettlement für Flüchtlinge und keine nationalen Sonderwege – was anderes kennt der Regierungspolitiker der BRD nicht.
Marvin T. Neumann
Kommentar von
23.8.2022
/
5 Minuten Lesezeit

Doch seit dem Krieg in Osteuropa sind die sonst bloß implizit volksfeindlichen Töne und Forderungen aus Berlin in blanke Agitation gekippt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP ist dabei wohl eine der herausragendsten Figuren. Die liberale Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist bekanntlich für die Rüstungsindustrie aktiv und glühende Transatlantikerin. So ist sie Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, im Förderkreis Deutsches Heer, Mitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und seit Mai dieses Jahres ist sie obendrein Vizepräsidentin der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, einer der größten NATO-Lobbyorganisation in der BRD. Kurzum: Man könnte der Dame durchaus zutrauen, für amerikanische Interessen deutsche Soldaten in den Krieg zu schicken – oder halt die deutsche Bevölkerung in die Armut.

Die Opferbereitschaft des deutschen Volkes

So ist die westdeutsche Politikerin bereits mehrfach mit ihrer penetranten Werbung für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine und einen schrillen, für viele unangemessenen Führungsstil im Ausschuss aufgefallen. Wann immer Friedrich Merz westextreme Propaganda von sich gibt – etwa als er bemängelte, dass das deutsche Volk „kriegsmüde“ werde und fehlende Waffenlieferungen den „Verrat an der Ukraine“ bedeuteten –, dann gibt Strack-Zimmermann mit entsprechendem Abstand noch einen oben drauf. Und obgleich die längste Zeit beteuert wurde, dass die Sanktionen gegen Russland nur kurzfristig Nachteile für Deutschland bedeuten würden, und mittelfristig ja sogar die grüne, energiepolitische Autarkie, war für jeden Bundesbürger mit Verstand klar, dass man sich hier zwangsweise die eigenen Beine absägen würde. So ist es dann auch kein Wunder, dass Strack-Zimmermann jetzt in der Welt ganz offen das fordert, was noch vor wenigen Wochen als Polemik abgetan wurde: Die Opferbereitschaft des deutschen Volkes zur Aufrechterhaltung der Regierungspolitik.

Der Vorwurf der Eidesverletzung (»dem Wohle des deutschen Volkes«, man erinnere sich) wurde noch 2015 ganz selbstverständlich als stumpfe rechte Parole verworfen – schließlich konnte man die Vergewaltigungen, Überfälle und Milliarden Steuerkosten für die Ansiedlung der Fremden medial vertuschen und in den Speckgürtel-Parallelwelten der grünbürgerlichen Spiegelleser und Tagesschaugucker war davon ohnehin nichts zu sehen. Jetzt, wo das antideutsche Handeln der Bundesregierung erstmals konkret für alle spürbar wird und den kollektiven Abstieg des deutschen Volkes nicht bloß in Sicherheit und Bildung, sondern auch Wohlstandverlust und Versorgungsengpässe samt Blackouts bedeutet, wird der Eidesbruch ganz offensichtlich zum Politikstil: Im Namen der andauernden, aber durch Staaten wie Russland, dem Iran oder China in Frage gestellten Globalisierung des liberaldemokratischen Systems und der Aufrechterhaltung des US-dominierten Westblocks, soll das deutsche Volk sich opfern.

Systemfrage anstatt Volkswohl

Allein die Aufforderung, solchen Schaden hinzunehmen, um eine bestimmte außenpolitische Linie durchzudrücken – denn faktisch wäre die Versorgung durch Nord Stream II gar nicht in Gefahr, die Sanktionen gegen Russland sind schließlich kein Naturgesetz, man hat sich bewusst dafür entschieden, seinen eigenen Lieferanten zu boykottieren –, ist eine so offensichtliche Verletzung des Gemeinwohls, dass diese gesamte Regierung sich vor den Gerichten verantworten müsste. Aber natürlich wird kein Richter sich jemals mehr gegen die Regierenden stellen, die Oligarchisierung der Staatsgewalten ist spätestens seit der Coronamaßnahmenpolitik und den Abendessen von Kanzlerin und Verfassungsrichter abgeschlossen. Und sollte der Druck doch noch größer werden, kann, wie immer, der Eidestext im Ernstfall von den entsprechenden Stellen des ideologischen Staatsapparates der BRD einfach umgedeutet werden – das Wohl des deutschen Volkes bedeutet dann die Systemfrage in der Ukraine und nicht länger Wohneigentum, bezahlbare Mieten oder eine Zukunft für den Nachwuchs hier im eigenen Land.

Vielleicht streicht man auch die Formulierung „dem Wohle des deutschen Volkes“ und ersetzt sie mit „für die westlichen Werte wie Toleranz, Vielfalt und Demokratie“. Nur wird wohl jener Teil des Volkes, der über keinen heimischen Kamin in der Vorstadtvilla verfügt, für abstrakte Werte nicht den Verlust der eigenen Lebensgrundlage hinnehmen – laut einer Umfrage von Insa würde fast jeder zweite Deutsche auf die Straße gehen, um gegen die hausgemachte Kostenexplosion zu demonstrieren. Genau deshalb warnte Außenministerin Baerbock bei ihrem Kanadabesuch bereits vor kommenden Volksaufständen in der BRD. Strack-Zimmermann ist selbstverständlich nicht blöd und greift diese Überlegungen auf, um sie wiederum ins transatlantische Narrativ zu gießen. So sagt sie in der Welt: „Es geht auch um das zukünftige Leben unserer Kinder und Enkelkinder, die auch das recht haben, so wie wir Jahrzehnte lang, in einem freiheitlichen und friedlichen Deutschland zu leben.“

Die Personifizierung der Demokratie

Hier geht’s also wieder angeblich um das politische System – dessen Nutznießerin sie natürlich ist und als dessen Vertreterin sie sich wähnt –, und nicht um Lohn und Brot des Ottonormalverbrauchers und eine generationenübergreifende Politik zum Wohle des Volkes. Und die Aufrechterhaltung des Friedens (der im Inneren dank Multikulturalisierung längst fragwürdig geworden ist) macht die Lobbyistin natürlich davon abhängig, ob das deutsche Volk bereit sei, „den Diktatoren dieser Welt, die unser demokratisches Leben hassen und zerstören wollen, entschlossen entgegen[zu]stehen“. Hinter diesem Märchen von den bösen Diktatoren dieser Welt, die kein anderes Ziel vor Augen hätten, als den durchschnittlichen Bundesbürger vom Wählen abzuhalten, steckt natürlich bloß der moralische Kittel der amerikanischen Hegemonialstellung.

Die Botschaft ist also klar: Deutschland wird überall dort verteidigt, wo amerikanische Alliierte und Vasallenstaaten mit Staaten anderer Staatsform in Konflikt geraten. Und Deutschlands Interessen bedeuten nicht länger das Wohlergehen seiner Bewohner, sondern die Aufrechterhaltung der Legitimation seiner Regierenden – stets unter dem Vorwand, sie würden „die Demokratie“ praktisch personifizieren, denn ansonsten wäre beispielsweise die AfD mitgemeint, und das ist bekanntlich nicht der Fall.

System als Selbstzweck

Diese Entwicklung kennt keine Umkehr mit kleinen Reformen. Jedes weitere Problem bringt andere mit sich, womit wir von Krise zu Krise stolpern. Der Westblock mit dem imperialen Zentrum in Übersee befindet sich längst im Abstieg. Die globale US-Dominanz schwindet – nach Afghanistan und der Ukraine bleibt nur noch Taiwan als noch gehaltene Provinz von strategischer Bedeutung –, der Dollar und Euro sind schwach, Inflationsraten steigen in die Höhe, das globale Lieferkettensystem ist bedroht und viele Vorstöße und Pläne im Namen der Klimarettung sind unterm Strich nicht mehr als die gut vermarktete Verwaltung des Niederganges. Das liberalkapitalistisch-demokratische System des Westens verkaufte sich seit 1990 als Sieger der Geschichte, da es am effektivsten Wohlstand, Mobilität und Sicherheit für alle Gesellschaftsteile produzieren könne – nun fordern seine Eliten und Propagandisten den Verzicht auf Wohlstand, Mobilität und Sicherheit im Namen des Systems.

System als Selbstzweck, während es für die Bevölkerung mittlerweile konkret mehr Nachteile als Vorteile bringt, bei einem ohnehin hohen Anteil von Nichtwählern (um die 60% bei EU-Wahlen, 50% bei Landtagswahlen und 30% bei Bundestagswahlen), die also eine Partizipation an demokratischen Prozessen ohnehin für nebensächlich oder sogar sinnlos halten. In dieser Konstellation fordern übermäßig wohlhabende Politiker, die während einer Gaskrise protzige Hochzeiten auf Sylt feiern und per Privatjet anreisen, das Volk zum Opfer auf. Kein eigenes Auto, kein Eigenheim, keine warme Wohnung – außer für neu angesiedelte Ortskräfte. Kann das gut gehen? Wird das deutsche Volk sich wirklich für amerikanische Geointeressen und den uneingeschränkten Erhalt des Selbstbedienungsladens der Strack-Zimmermanns dieser Parteienrepublik opfern? Der kommende Winter wird uns eine erste Antwort geben.


Zur Person:

Marvin T. Neumann, Jahrgang 1993, arbeitet als persönlicher Referent für den mitteldeutschen Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck. Zu seinen Interessengebieten zählen Geopolitik, politische Theorie und Literaturwissenschaft.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.