Ukrainischer Oppositionsführer Medwetchuk: „Waffenruhe für die Ukraine“

In seinem Gastbeitrag für FREILICH betont der ukrainische Oppositionsführer Wiktor Medwetchuk, dass die direkten Verluste an Menschenleben durch Raketenbeschuss und Gewehrkugeln ebenso wie die indirekten Todesfälle weltweit durch das zusätzliche CO2 in der Atmosphäre nur dann gestoppt werden kann, wenn der Westen dafür sorgt, dass die Waffen schnellstens schweigen.

Kommentar von
17.5.2023
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3 Minuten Lesezeit
Ukrainischer Oppositionsführer Medwetchuk: „Waffenruhe für die Ukraine“
Der ukrainische Oppositionsführer Wiktor Medwedtschuk© IMAGO / Russian Look

100 Millionen Tonnen CO2 werden durch den Krieg in der Ukraine in die Atmosphäre geblasen. Diese Zahl ist nur eine Größenordnung, leicht kann sie durch eine einzige Panzerschlacht, durch einen Großangriff mit Raketen um Millionen von Tonnen wachsen. Diese Erkenntnis ist unbequem für alle Konfliktparteien, sowohl für die Russen wie für die Ukrainer. Zwar sind ihre Motivationen unterschiedlich, aber die Atmosphäre fragt nicht, ob ein Angreifer, ein Verteidiger, ein in berechtigtem Interesse Handelnder oder ein ungerechtfertigterweise zur Waffe greifender Kombattant die Raketen abfeuert. Sie verändert sich jedenfalls – zum Nachteil aller Menschen, weltweit.

Momentan sind die Narrative der meisten führenden Medien und einer großen Mehrheit der westeuropäischen Politiker klar: Russland ist der Aggressor, die Ukraine das arme Opfer. Der Westen sieht sich als einen edler Helfer, der die Demokratie und Freiheit in der Ukraine beschützen will und der deswegen größte Mengen an Waffen und Munition liefert. Speziell die Parteigänger der Öko-Partei, der Grünen, sind hier besonders eifrig. Wann aber wird die Erkenntnis auch im Westen ankommen, dass der Stopp der ökologischen Katastrophe, die dieser Krieg darstellt, Vorrang haben sollte vor der Überlegung, wer Recht hat?

Kritik an Kurs von Biden wächst

Nur wenn der Westen dafür sorgt, dass die Waffen schnellstens schweigen, können die direkten Verluste an Menschenleben durch Raketenbeschuss und Gewehrkugeln ebenso wie die indirekten Todesfälle weltweit durch das zusätzliche CO2 in der Atmosphäre gestoppt werden. Und damit ist noch nicht einmal etwas darüber ausgesagt, wie am Ende ein Friedensvertrag aussehen soll, denn jeder Frieden musste ausgehandelt werden – immer, zu allen Zeiten. Dass verhandelt werden sollte, scheinen insbesondere die politischen Kräfte in Deutschland, die früher einmal der Friedensbewegung nahestanden, völlig vergessen zu haben.

In den USA ist man bereits einen Schritt weiter. Dort wächst auch die Kritik an dem kriegerischen Kurs des demokratischen Präsidenten Biden – vor allem aus dem konservativen Lager. Der 45. US-Präsident, Donald Trump, erklärte am 9. Oktober 2022, es gebe eine „Notwendigkeit sofortiger Verhandlungen mit Russland zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine“. Trump beschuldigte die Biden-Administration, diesen Krieg zu schüren: „Unser Land und unsere so genannte Führung haben Putin schikaniert.“ Und auch in den USA gibt es Straßenproteste gegen den Ukraine-Krieg. Allein am 19. Februar 2023 kamen tausende Menschen – darunter mehrere ehemalige Sprecher des Außenministeriums, Politiker, Journalisten und Aktivisten – zu einer Kundgebung unter dem Titel „Rage against the War Machine“ nach Washington. Sie riefen dazu auf, gemeinsam gegen eine Fortsetzung dieses Kriegs vorzugehen.

Immer größerer Widerstand gegen Waffenlieferungen

Wolodymyr Selenskyj steht als Präsident der Ukraine seit Beginn seiner Amtszeit unter vollem Einfluss US-amerikanischer und britischer Politiker. Das intensivierte sich nach der Wahl Bidens zum US-Präsidenten. Fortan war ein stetiges Wachsen des militärischen Konflikts zwischen der Ukraine, Russland und europäischen Ländern zu beobachten. Ursprünglich war der Schauspieler und Komiker Selenskyj zum Präsidenten der Ukraine gewählt worden, weil er versprochen hatte, die Korruption zu beenden und den Konflikt im Donbass friedlich zu lösen. Doch geschehen ist das Gegenteil. Den Schaden haben die Menschen. Zuerst diejenigen, die in der Ukraine täglich kriegsbedingt sterben – und danach weltweit diejenigen, die durch die zusätzlichen Umweltgifte und die mindestens 100 Millionen Tonnen an zusätzlichem CO2 getötet werden.

Zum Glück verstehen immer mehr Menschen, dass der gegenwärtige konfrontative Kurs ihrer Regierungen den eigenen Ländern schadet, und zwar auf allen Seiten. So wurde in Deutschland am 10. Februar 2022 eine Petition mit einem Appell an den Bundeskanzler ins Leben gerufen, die Eskalation der Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen. Bis zum 1. März 2023 war sie bereits von 716.235 Menschen unterzeichnet worden. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen EU finden zunehmend Kundgebungen gegen Waffenlieferungen an Kiew und für die Normalisierung der Beziehungen zu Russland statt. Die Teilnehmerzahlen gehen in die Hunderttausende. Wäre es nicht an der Zeit, dass die europäischen Politiker ihre Stimme erheben und eine eigenständige, den Menschen und der Umwelt gegenüber verantwortungsvolle Politik fordern? Wäre der Ukraine nicht mit einem sofortigen Waffenstillstand, der Verhandlungslösungen nicht vorgreift, aber die hundertprozentig sichere, katastrophal große Umweltvergiftung beendet, weit mehr genutzt als mit wahlloser Lieferung immer neuer Waffen?


Zur Person:

Wiktor Medwedtschuk (68) war bis zu seiner Vertreibung aus der Ukraine Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der größten Oppositionspartei des Landes, Oppositionsplattform – Für das Leben (OPZH). Ein Jahr vor Ausbruch des Krieges war die Partei in Meinungsumfragen die stärkste politische Kraft in der Ukraine, sie lag sechs Prozent vor der Selenskyj-Partei. Medwetchuck wurde genau zu diesem Zeitpunkt wegen Hochverrats angeklagt, über sechs Monate unter Hausarrest gestellt – widerrechtlich, wie er sagt. Immer wieder wurde er seitdem auch gedrängt, das Land zu verlassen. Er blieb, ging mit Ausbruch des Krieges in den Untergrund, wurde verhaftet und schließlich im Zuge eines Gefangenenaustausches nach Russland überstellt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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