„Fällt die Einstimmigkeit, ist unsere Demokratie nicht mehr viel wert“

Die freiheitliche EU-Sprecherin Petra Steger sieht die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips in der EU als Gefahr für die Demokratie in Österreich und ganz Europa, wie sie im Interview mit der TAGESSTIMME betont.
Interview von Redaktion
20.9.2022
/
3 Minuten Lesezeit

Die ÖVP hat zuletzt das Einstimmigkeitsprinzip in der EU zur Disposition gestellt. Sowohl EU-Ministerin Karoline Edtstadler als auch Außenminister Alexander Schallenberg äußerten sich in Richtung Aufweichung. Edtstadler nannte die Außen- und Sicherheitspolitik als ein Feld, in dem auch mehrheitliche Beschlüsse ausreichen sollen, Schallenberg die Steuerpolitik. Die FPÖ wird am Mittwoch im Nationalrat einen Antrag einbringen, der die Regierung auffordert, „sich auf europäischer Ebene vorbehaltlos für den Erhalt des Einstimmigkeitsprinzips und der Souveränität der Mitgliedstaaten einzusetzen“.

TAGESSTIMME: Frau Steger, wie ernst ist es der ÖVP mit der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU?

Petra Steger: Ich fürchte, sehr ernst. Denn die Worte von Kanzler Nehammer, der sich im EU-Hauptausschuss des Parlaments noch im Mai zur Einstimmigkeit bekannt hat und gemeint hat, dass sie gerade für uns als kleines Land unverzichtbar sei, zählen offenbar nicht mehr. Edtstadler und Schallenberg haben zuletzt eine ganz andere Sprache gesprochen. Die ÖVP spürt, dass die Entscheidungen der EU in Österreich sehr unpopulär sind, und will sich wohl von dem Druck befreien, sie mit einem Veto verhindern zu können. Gerade was die Fortsetzung der für Österreich extrem schädlichen Sanktionspolitik gegen Russland betrifft, wächst der Druck auf die Regierung massiv an. Aber Nehammer und Co. wollen unbedingt ihren verhängnisvollen und neutralitätswidrigen Kurs halten, ohne jede Rücksicht auf den Wohlstand der Österreicher.

Fakt ist aber, dass Österreich sein Vetorecht ohnehin nicht in Anspruch nimmt. Da wäre es doch konsequent gleich darauf zu verzichten, oder?

Steger: Es ist richtig, dass von dieser Regierung kein Widerstand gegen auch noch so absurde Ideen der Eurokraten zu erwarten ist. Ob Schuldenunion oder Russland-Sanktionen: Die schwarz-grüne Regierung trägt alle Beschlüsse mit, auch wenn sie den Österreichern noch so sehr schaden. Aber ein Abgehen von der Einstimmigkeit würde auch künftige Regierungen binden und wäre deshalb ein fataler Schritt. Wenn in Österreich wieder eine patriotische Regierung ins Amt käme, wären auch ihr die Hände weitgehend gebunden. Das ist wohl der Hintergedanke der ÖVP: ein Einzementieren ihrer eigenen EU-Hörigkeit bis in alle Ewigkeit.

Aber ist es nicht auch das Wesen einer Demokratie, dass die Mehrheit entscheidet und nicht alle einer Meinung sein müssen?

Steger: Schon, aber die Demokratie findet in den Nationalstaaten statt, die Mitglieder der Europäischen Union sind, und nicht in Brüssel, wo vielen Institutionen nach wie vor die demokratische Legitimität fehlt. Das Ende des Einstimmigkeitsprinzips würde der Demokratie in Österreich und in ganz Europa einen herben Schlag versetzen. Fällt die Einstimmigkeit, ist unsere Demokratie nicht mehr viel wert. Jede demokratisch legitimierte Regierung eines EU-Mitgliedstaats muss primär den Anliegen und Sorgen ihrer Bürger entsprechen und gegebenenfalls dieser Verpflichtung mittels der Nutzung des nationalen Vetos auf europäischer Ebene gerecht werden können. Vor allem kleine Mitgliedstaaten wie Österreich wären ohne das Einstimmigkeitsprinzip jeder Möglichkeit beraubt, in entscheidenden Politikbereichen im Interesse der eigenen Bevölkerung einen Einspruch zu erheben. Wer ein Ende der Einstimmigkeit fordert, kann nicht die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen vertreten, sondern nur jene der EU-Zentralisten.

Was sind für Sie die Ursachen für die nun neu aufgeflammte Diskussion?

Steger: Ziel der Eurokraten und ihrer österreichischen Handlanger ist die weitestgehende Einschränkung der Souveränität der Nationalstaaten. Das zeigt sich ganz deutlich etwa im Umgang mit Ungarn, das sich durch eine ausgewogenere Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine aktuell zusätzlichen Zorn aus Brüssel zugezogen hat. Man muss ganz klar sehen, dass ein Gas-Embargo gegen die Russische Föderation ohne Einstimmigkeitsprinzip wohl schon längst beschlossene Sache wäre, auch wenn aufgrund dieser Sanktionierung der österreichischen Industrie die Lichter ausgehen würden und Massenarbeitslosigkeit über uns hereinbrechen würde. Eine weitere Aushöhlung der nationalstaatlichen Souveränität muss daher unbedingt unterbunden werden.

Fürchten Sie auch steigenden Zugriff auf das Geld der Bürger in den Nettozahler-Staaten wie Österreich?

Steger: Das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Es geht, so hat sich ja Schallenberger geäußert, ganz klar um die Einführung europäischer Steuern. Damit könnte man die für Brüssel mühsamen Budgetverhandlungen umschiffen und sich einen viel größeren Budgettopf genehmigen. Die EU will direkt in die Taschen der Bürger greifen – auch das natürlich zum Nachteil der Österreicher.

Wie, glauben Sie, werden sich die Abgeordneten der Regierungsparteien zu Ihrem Antrag verhalten?

Steger: Ich befürchte, dass sie ihn ablehnen werden, um sich weiterhin alle Optionen offenzuhalten. Generell, fürchte ich, geht der Zug der ÖVP in Richtung Verlagerung möglichst vieler Kompetenzen und damit auch eigener Verantwortung nach Brüssel – und bei den Grünen sowieso!


Zur Person:

Petra Steger, Jahrgang 1987, ist EU-Sprecherin der FPÖ. Seit 2013 sitzt sie im Nationalrat. Neben der Politik ist Steger auch als Basketballspielerin aktiv.